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Charons Klaue

Charons Klaue

Titel: Charons Klaue
Autoren: R. A. Salvatore
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höhere Politik, die mir einst die Hand führte, ist eine flüchtige Vision. Die wabernden Linien der aufsteigenden Hitze spiegeln glitzernde Flüsse vor, wo in Wahrheit nur trockener Sand wartet. Ich lebe in einem Land voller Akar Kessells, aber anscheinend sehr weniger Orte, die zu verteidigen es sich lohnt.
    Vielleicht gibt es bei den Siedlern von Niewinter noch einen noblen Widerstandsgeist wie den, den ich in Zehn-Städte mit entfachte. Allerdings leben dort zwischen den drei Seiten – den Sendboten von Tay, ihren untoten Horden und den Nesserern – viele Leute, die nicht weniger rücksichtslos auf ihr eigenes Wohl bedacht sind.
    Wie also soll ich mich in einem Sumpf wie Niewinter mit dem Herzen einbringen? Wie soll ich voller Überzeugung zuschlagen, aus dem Wissen heraus, dass ich für das Gute im Land kämpfe oder zumindest auf der Seite der Guten stehe?
    Ich kann es nicht. Jedenfalls nicht jetzt. Nicht, solange alle Beteiligten gleichermaßen finster erscheinen.
    Aber ich bin auch nicht mehr von Freunden umgeben, die aus dem gleichen Holz geschnitzt sind. Ginge es nur um mich, so würde ich von hier verschwinden, vielleicht in die Silbermarsch, wo ich (hoffentlich) Gutes und Hoffnung finde. Nach Mithril-Halle und Silbrigmond, wo man noch immer das Lied von König Bruenor Heldenhammer und der Herrin Alustriel im Herzen trägt, oder gar nach Tiefwasser, noch heute eine strahlende Stadt, deren Fürsten sich der Stadt und ihren Bürgern verpflichtet fühlen.
    Doch Dahlia ist nicht zum Gehen zu bewegen. Sie hat hier noch eine alte Rechnung zu begleichen, über die ich zu wenig weiß. Ich habe sie bereitwillig zu Sylora Salm begleitet, mit der ich noch etwas auszufechten hatte, genau wie sie. Und jetzt folge ich ihr erneut – oder ich lasse sie im Stich, denn sie lässt sich nicht beirren. Als Artemis Entreri jenen Namen erwähnte, Erzgo Alegni, überkam Dahlia eine derartige Wut und eine solche Trauer, dass sie sich auf nichts anderes einlassen wird.
    Noch nicht einmal auf einen Aufschub, denn immerhin bricht bald der Winter herein. Kein Sturm wird sie aufhalten, fürchte ich, und kein Schnee wird so tief sein, dass die sture Dahlia sich nicht nach Niewinter vorkämpfen wird, wo sie diesen Nesser-Fürsten finden will, diesen Erzgo Alegni.
    Ich hatte geglaubt, sie würde Sylora Salm abgrundtief hassen, aber nein, Dahlias Hass auf diesen Tiefling, der als Heerführer der Nesserer dient, reicht viel tiefer. Sie wird ihn töten, sagte sie, und als ich ihr drohte, sie ihrem Schicksal zu überlassen, zuckte sie nicht mit der Wimper. Sie hat keinen Augenblick gezögert und hatte nicht einmal ein liebevolles Lebewohl für mich übrig.
    Damit werde ich schon wieder in einen Konflikt hineingezogen, den ich nicht begreife. Gibt es hier einen rechtschaffenen Weg? Gibt es zwischen Dahlia und den Shadovar ein Maß für Recht und Unrecht? Wenn man Entreri Glauben schenken mag, ist dieser Tiefling ein wahres Scheusal, das ein gewaltsames Ende verdient, und der Ruf von Nesseril scheint diese Vorstellung zu unterstützen.
    Aber bin ich schon derart von meinem Weg abgekommen, dass ich mich auf die Worte von Artemis Entreri verlasse? Habe ich wirklich jegliches Gefühl für Recht und Ordnung und dementsprechende Gesellschaften verloren? Bin ich so tief gesunken?
    Ich bewege mich auf Treibsand. Ich ziehe meine Klingen, und im Kampf werde ich sie benutzen, wie ich es stets getan habe. Meine Feinde werden nie erfahren, welcher Aufruhr in mir herrscht. Sie wissen nichts von der Verwirrung, weil ich keinen klaren moralischen Pfad mehr vor mir habe. Sie kennen nur die Schnitte von Eisiger Tod und das Aufblitzen von Blaues Licht.
    Ich hingegen kenne die Wahrheit.
    Bedeutet mein Widerstreben, Alegni zu verfolgen, dass ich Dahlia misstraue? Sie ist sich ihrer Sache sicher. Noch nie habe ich sie – oder wen auch immer – derart sicher erlebt. Nicht einmal Bruenor ist bei der langen Rückeroberung von Mithril-Halle derart entschlossen aufgetreten. Sie wird diesen Tiefling töten oder selbst dabei umkommen. Ich wäre wahrlich ein armseliger Freund und Partner, wenn ich sie dabei nicht begleiten würde.
    Aber ich verstehe es nicht. Ich sehe den Weg nicht deutlich vor mir. Ich weiß nicht, ob ich am Ende wirklich dem Guten diene. Ich kämpfe nicht dafür, dass es in meiner Ecke dieser Welt irgendwann besser wird.
    Nein, ich kämpfe einfach.
    Auf der Seite von Dahlia, die mich fasziniert.
    Und offenbar auch auf der Seite von Artemis
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