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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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auch als das Zeitalter der Reformen gilt, lässt man sie gewöhnlich mit dem Jahr 1832 beginnen, in dem das erste große Reformgesetz verabschiedet wurde. Dieses Gesetz war lange überfällig und wäre wahrscheinlich schon früher von den fortschrittlichen Kräften durchgesetzt worden, wenn nicht die Französische Revolution die Angst geschürt hätte, dass eine Demokratisierung des Wahlrechts die Schleusentore für einen Umsturz öffnen könnte. Als die Briten dann lange Zeit allein den Krieg gegen Napoleon führen mussten, waren selbst die Sympathisanten der Revolution patriotisch genug, der eigenen Regierung nicht mit Reformforderungen in den Rücken zu fallen. Doch sobald Frankreich besiegt war, brachen die alten Konflikte neu auf.
    Im 18. Jahrhundert hatte das englische Bürgertum einen stetigen Aufstieg erlebt. Sein politischer Anwalt war das
House of Commons
, das als Unterhaus jahrhundertelang dem Oberhaus der
Lords
nachgeordnet war, aber schon unter Elisabeth I. die politische Initiative an sich gezogen hatte und durch die Glorreiche Revolution und die dem König abgetrotzte Bill of Rights von 1689 zum Zentrum der Macht geworden war. Doch von Demokratie konnte trotzdem keine Rede sein, da die Zusammensetzung des Unterhauses in keiner Weise das Volk repräsentierte. Die älteste Hürde für eine Demokratisierung des Wahlrechts waren die sogenannten
rotten boroughs
, die ‹verrotteten Wahlkreise›. So nannte man jene Städte, die seit dem Spätmittelalter das verbriefte Recht hatten, zwei Abgeordnete ins Parlament zu schicken, obwohl sie nach der industriellen Revolution und der dadurch ausgelösten Bevölkerungswanderung nur noch wenige Einwohner hatten, während umgekehrt die erst vor kurzem aus Dörfern hervorgegangenen bevölkerungsreichen Industriestädte im Parlament nicht vertreten waren. Typische Beispiele, die in diesem Zusammenhang immer genannt werden, sindOld Sarum, das nur noch sieben Einwohner hatte, und Dunwich, dessen größter Teil von mehreren Sturmfluten ins Meer gespült worden war. Beide Orte behielten trotzdem ihre Parlamentssitze, deren Besetzung die jeweiligen Grundeigentümer bestimmten. Die Wahl der Abgeordneten erfolgte in den einzelnen Boroughs auf ganz unterschiedliche Weise, je nachdem, was vor Jahrhunderten im Stadtbrief festgeschrieben worden war. In einigen Städten hatten fast alle Männer das Wahlrecht, in anderen nur wenige Honoratioren, in wieder anderen alle, die auf einem Herd einen ‹Pott› zum ‹wallen› bringen konnten: das waren die
potwaller
-Städte, die man verächtlich auch
potwallopers
nannte. Wenn das Wahlrecht demokratischer werden sollte, musste zuallererst das Problem der
rotten boroughs
gelöst werden. Diesen Anfang machte das Reformgesetz von 1832, das nur gegen den massiven Widerstand des
landed interest
, d.h. der Großgrundbesitzer, durchgesetzt werden konnte. Nachdem es das Unterhaus passiert hatte, konnten die Lords im Oberhaus nur durch Androhung eines Peerschubs zur Zustimmung bewegt werden. Würden sie sich noch länger weigern, so die Drohung, würde König Wilhelm IV. so viele neue Lords aus dem liberalen Lager kreieren, bis dieses die Mehrheit hätte. Die unmittelbare Auswirkung des Reformgesetzes war gering. Die Zahl der Wahlberechtigten stieg nur von 478.000 auf 814.000. Doch der Damm war gebrochen, und die beiden folgenden Gesetze von 1867 und 1884 sorgten für die weitere Ausdehnung des Wahlrechts, allerdings nur für Männer.
    Das zweite gravierende Problem, das unmittelbar nach dem Sieg über Napoleon aufbrach, war das der
corn laws
. Während des Krieges war England durch die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre von seinen früheren Getreidelieferanten abgeschnitten, was die Kornpreise in die Höhe getrieben hatte. Da die Großgrundbesitzer fürchteten, dass mit dem Wiederbeginn des Seehandels die Preise durch Importe fallen würden, setzten sie im Parlament hohe Kornzölle durch, die ihnen weiterhin die gewohnten Einkünfte aus dem Getreideanbau sicherten. Für die Arbeiterschicht bedeutete das einen hohen Brotpreis, weshalb sie die Abschaffung der Zölle forderten. Hierbei hatten sie die Fabrikbesitzer auf ihrer Seite; denn die brauchten gut genährte Arbeiter, wollten aber keine höheren Löhne zahlen. So spalteten die
corn laws
das Volk in zwei Lager.
    Bei einem anderen Problem verlief die Lagerbildung umgekehrt. Hierging es um den Kampf der Arbeiter für bessere Arbeitsbedingungen, vor allem um die Verkürzung der
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