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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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Reformbereitschaft geprägt, auch wenn in der Literatur ein unterschwelliger Zug von Melancholie stetig zunahm. An Dickens’ Werk lässt sich wie an einem Seismographen ablesen, dass die Anpassung der Gesellschaft nicht mit der unerbittlichen Entwicklung der objektiven Verhältnisse Schritt hielt. Es ist gewiss kein Zufall, dass das englische Wort für ‹unerbittlich›, nämlich
inexorable
, und der damit verbundene Vorstellungskomplex in seinem drittletzten Roman,
Eine Geschichte zweier Städte
, eine zentrale Bedeutung gewinnt. Er schrieb ihn unter dem Eindruck des politischen Katzenjammers nach dem desaströs verlaufenenKrimkrieg und wählte dafür als Stoff die Französische Revolution. Der Dickens-Spezialist Humphry House, der ein kluges Buch mit dem Titel
The Dickens World
schrieb, prägte den vielzitierten Satz: «In
Pickwick
war ein schlechter Geruch ein schlechter Geruch, in
Our Mutual Friend
ist er ein Problem.» Wie es zu dieser Entwicklung von Dickens’ erstem bis zu seinem letzten vollendeten Roman kam, soll nun gegen den hier aufgerollten Hintergrund an Leben und Werk des Dichters aufgezeigt werden.

LEBEN UND WERK
    Das «Leidmotiv»

Kindheit
und Jugend
1812 bis 1829
    Am 10. Februar 1812 stand in
The Hampshire Telegraph
und in
The Hampshire Courier
unter der Rubrik «Geburten» die folgende Anzeige:
    On Friday, at Mile-end Terrace, the lady of John Dickens, Esq., a son.
    Dieser Sohn, der am 7. Februar in Portsmouth das Licht der Welt erblickte, wurde am 4. März auf den Namen Charles John Huffham Dickens getauft. John Dickens, der Vater des Kindes, muss bei der Formulierung der Anzeige großen Wert darauf gelegt haben, seiner Familie eine Aura von Vornehmheit zu geben; denn er spricht darin von seiner Frau als einer Lady und seinem eigenen Namen fügt er das Kürzel Esq. hinzu, das für
Esquire
steht und in der sozialen Schicht des niederen Adels den Rang unterhalb des
knight
(‹Ritter›) bezeichnet. Tatsächlich stammte er aber aus einfachen Verhältnissen. Er war der zweite Sohn der Eheleute William und Elizabeth Dickens, die als Bedienstete des reichen und später geadelten Großgrundbesitzers John Crewe in dessen Haushalt angestellt waren. Die Crewe-Familie lebte abwechselnd in ihrem Londoner Stadthaus und auf ihrem Landsitz in der Grafschaft Cheshire. William Dickens starb bereits zwei Monate nach der Geburt seines zweiten Sohnes, doch sein Arbeitgeber behielt die Witwe mit den beiden Kindern weiter in seinen Diensten. Während der ältere Sohn William sich offenbar seines niederen Standes bewusst blieb und später ein Kaffeehaus in der Londoner Oxford Street betrieb, was in Dickens’ Familie als Makel empfunden wurde, scheint John sich ganz am Vorbild seiner vornehmen Herrschaft orientiert zu haben. Jedenfallskultivierte er von Anfang an den Akzent der Oberschicht und gab sich den Habitus eines gebildeten Gentleman. Im Alter von 19 Jahren erhielt er durch Vermittlung von John Crewe eine Anstellung beim Zahlamt der königlichen Marine in Somerset House in London mit einem Jahresgehalt von 78 Pfund. Von dort versetzte ihn das Amt 1807 an die Zweigstelle in Portsmouth.
    Elizabeth Dickens. Porträt von John W. Gilbert.
    Noch vor seiner Versetzung hatte sich John um die Hand von Elizabeth Barrow bemüht, die er am 13. Juni 1809 heiratete und nach Portsmouth holte, wo das junge Paar eine Wohnung in Mile End Terrace bezog. Elizabeth kam aus einer schon etwas arrivierteren Schicht. Ihr Vater, Charles Barrow (1759–1826), stammte aus einer wohlhabenden Familie von Musikinstrumentenbauern und bekleidete eine leitende Stellung im Zahlamt der Marine, wo er von London aus für die Geldüberweisungen in die Hafenstädte Plymouth, Portsmouth, Sheerness und Chatham zuständig war. Sein Kontakt zu John Dickens kam dadurch zustande, dass einer seiner Söhne – er hatte zehn Kinder – am selben Tag wie John in das Zahlamt eintrat. Der höhere Status derBarrow-Familie hielt allerdings nicht lange an. Schon ein Jahr nach der Eheschließung von John und Elizabeth musste Charles Barrow die Unterschlagung von Staatsgeldern zugeben, worauf er sich unter dem Vorwand, das Geld für die Rückzahlung beschaffen zu wollen, auf die Insel Man absetzte. Der Skandal hatte jedoch weder für John Dickens noch für Barrows eigenen Sohn berufliche Nachteile.
    John Dickens (ca. 1845). Unbekannter Zeichner.
    Es ist nicht leicht, sich ein Bild von Dickens’ Vater zu machen, ohne dabei an die Gestalt des Mr. Micawber
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