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Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)

Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Klaus Pollmann
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rüttelte ihn wach. Lucius fuhr von der Bank hoch. Die Schriftrolle, die auf seinen Beinen gelegen hatte, fiel polternd zu Boden. Er befand sich nicht in Parthien, sondern in Arausio und war im Garten eingeschlafen. Es schien ihm auch nicht die Wüstensonne ins Gesicht, sondern die Frühlingssonne Südgalliens.
    „Lucius“, wiederholte Stephanos, der Hausverwalter, „du musst gleich zum Unterricht!“
    Lucius reckte sich und knurrte ungehalten. Rhetorikunterricht! Am liebsten hätte er dem alten Mann gesagt, was er mit dem Unterricht machen könnte, aber der konnte ja auch nichts dafür. Lucius sah ihm nach, wie er ins Haus zurückschlurfte. Dann hob er die Schriftrolle auf und warf wehmütig einen Blick in die Passage, die er zuletzt gelesen hatte:
    „Als unsere Soldaten vor allem wegen der Tiefe des Wasser zögerten, beschwor der Adlerträger der 10. Legion die Götter, der Legion einen glücklichen Ausgang dieses Unternehmens zu gewähren, und rief: Springt, Kameraden, wenn ihr den Adler nicht dem Feinde ausliefern wollt! Ich jedenfalls werde meine Pflicht gegenüber Staat und Feldherrn erfüllen.“
    Er rollte das Volumen zusammen und stand seufzend auf. „Ich jedenfalls werde meine Pflicht gegenüber der Familie erfüllen.“ Aber eines Tages, so schwor er sich, werde ich ein Tribun, Legat oder Feldherr sein. Ich werde die Feinde des Imperiums zerschmettern und mir einen Beinamen erwerben. Germanicus klingt nicht schlecht, oder vielleicht Armenius. Lucius Justinius Marcellus Britannicus wäre auch sehr klangvoll. Dann werde ich unter dem Jubel der Römer die Via Sacra entlangziehen, meine Soldaten werden ihre Spottlieder singen und abends werde ich im Tempel des Jupiter Optimus speisen.
    „Hallo, Lucius!“, rief ihn in diesem Moment eine Stimme von oben. Das war nicht Jupiter Optimus. Ein kleiner Junge lehnte sich über die Mauer und sah zu ihm herunter. „Kommst du rüber, Lucius? Meine Eltern sind weg und nur meine Schwester ist da. Du wolltest mir doch noch den Trick beim Orcaspielen verraten!“
    „Jetzt leider nicht, Sextus!“, entgegnete Lucius mit echtem Bedauern. „Ich habe Rhetorikunterricht!“
    „Du hast es gut!“, sagte Sextus neidisch. „Ich muss mit zwanzig anderen Kindern dieses blöde Lesen und Schreiben lernen, und du darfst so tolle Sachen machen!“
    Kinder, dachte Lucius bei sich. Sextus glaubt tatsächlich, dass ich diesen Mist toll finde. Ich wüsste ja schon etwas Besseres mit meiner Zeit anzufangen!
    Er winkte zum Abschied und ging ins Haus. Er durchquerte das Atrium, um das Buch wieder in die Bibliothek zu legen. Am Eingang des Atriums, gegenüber vom Hausaltar, lagen schon die Schriftrollen mit den Reden Ciceros bereit. Er zog sie auseinander, um sich zu vergewissern, dass es die richtigen waren. Bis er seine glanzvolle Karriere im Dienste des Imperiums und bei den Adlern starten konnte, würde es noch ein paar Jahre dauern, und so lange würde er hier in Arausio bleiben müssen. Er warf sich unwillig den Kapuzenmantel über, den Stephanos ihm hinhielt, und verließ das Haus.
    Nach dem Unterricht war Lucius’ Laune auf einem Tiefpunkt angelangt. Servius öffnete die Tür schon nach dem zweiten Klopfen. Aber bereits das dauerte Lucius viel zu lange, nachdem er den Nachmittag schon mit Cicero vergeudet hatte.
    „Wird auch Zeit!“, fauchte er den Sklaven an und drängte sich an ihm vorbei ins Haus. Der stämmige Gallier, der im Haushalt für die schweren Arbeiten zuständig war, sah ihm verdutzt nach. Lucius stürmte die Treppe hinauf zu den Schlafkammern und hastete durch den Gang im Dachgeschoss zu seinem Zimmer. Das wenige Licht, das durch die Dachluke fiel, reichte nicht, um einen aufgebrachten jungen Mann vor der Dachschräge zu warnen. Schmerzhaft wurde Lucius daran erinnert, dass er mit fünfeinhalb Fuß zu groß war, um in diesem Gang unachtsam zu sein. Benommen stand er da. Sein Kopf brauste, ihm war schwarz vor Augen geworden. Er betastete die schmerzende Stelle an seiner Stirn. Bei Äskulap, das würde eine Beule geben! Und er würde sich wieder dumme Sprüche über seine Herkunft anhören dürfen. Nicht, dass der eine oder andere seiner Freunde nicht selbst gallische Vorfahren hatte, aber bei ihm schlugen die gallischen Merkmale sichtbar durch: blaue Augen, ein breite Nase, und überdies war er eine Handbreit größer als seine Freunde. Der Schmerz und der Gedanke an den Spott besserten seine Laune nicht, und als er sein Zimmer erreichte, stieß er die Tür so
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