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Cathérine und die Zeit der Liebe

Titel: Cathérine und die Zeit der Liebe
Autoren: Benzoni Juliette
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marschiert. Einen Augenblick hatten sie einen Anhaltspunkt zu finden geglaubt, als sie auf eine einen Sturzbach überspannende Brücke aus der Römerzeit stießen.
    »Das ist der Bès«, hatte Gerbert gesagt, »und dies ist die Brücke von Marchastel. Wir müssen geradeaus weiter. Wir werden nicht in Nasbinals Rast machen, sondern im Hospiz von Aubrac. Mut!«
    Das Wort hatte alle aufgemuntert. Ein Mann, der die Pilgerreise schon einmal unternommen hatte, erklärte, es sei viel besser, ins Hospiz als nach Nasbinals zu gehen. Das einsame Hospiz würde die müden Reisenden aufnehmen können. Man hatte sich singend wieder in Marsch gesetzt. Aber der Nebel hatte das Land allmählich wieder überzogen, die Stimmen erstarben auf den Lippen, die nach trockener Luft verlangten. Von neuem war der Weg dem Zufall ausgeliefert.
    Mitunter ließ ein Riß in der Nebelwand die Falle eines Torfstichs, den Spalt einer Schlucht oder die graue Wölbung eines Hügels erkennen, aber meist tappte man im Dunkeln, die Augen auf den Boden geheftet, um den Weg auszumachen. Und jetzt brach die Nacht herein, die die Gefahr noch vervielfachen würde. Sollte man hier, in der freien Wildnis, anhalten und im eisigen Wind kampieren, in den sich schon einige winzige Schneeflocken mischten? In den allerletzten Märztagen sind Frost und Schnee in den trostlosen Weiten des Aubrac nichts Seltenes. Trotz allem, trotz des scheußlichen Wetters und der schmerzenden Füße, ließ Cathérine den Mut nicht sinken. Um Arnaud zu finden, war sie bereit, noch zehnmal mehr zu ertragen.
    Plötzlich strauchelte Gillette de Vauchelles über einen Stein. Sie fiel so heftig nach vorn, daß sie Cathérine mitriß. Eine Verwirrung in der Marschkolonne war die Folge, und sofort eilte Gerbert Bohat zu den beiden Frauen.
    »Was ist hier los? Könnt Ihr nicht auf Eure Füße aufpassen?«
    Der Ton war barsch, ohne jede Duldsamkeit. Cathérine antwortete ebenso scharf. Bereits ermüdet, war sie nicht geneigt, die schlechte Laune des Clermontesers zu ertragen.
    »Meine Gefährtin ist erschöpft! Dieser Weg nimmt ja kein Ende! Wenn man ihn überhaupt einen Weg nennen kann! Und dieser Nebel …«
    Der schmale Mund Gerberts verzog sich zu einem verächtlichen Lächeln.
    »Es sind erst fünf Tage, daß wir aufgebrochen sind! Wenn diese Frau krank ist, hätte sie zu Hause bleiben sollen! Eine Pilgerfahrt ist keine Vergnügungsreise! Gott will …«
    »Gott will«, unterbrach Cathérine ihn trocken, »daß man sich seinen Mitmenschen mitfühlend und ihrer Not gegenüber hilfreich erweist! Es ist recht einfach, diese lange Bußfahrt zu unternehmen, wenn man bei vollen Kräften ist. Statt Eurer Vorwürfe, Messire, solltet Ihr lieber Eure Hilfe anbieten!«
    »Frau«, erwiderte Gerbert, »niemand hier hat Euch um Eure Meinung befragt. Ich habe meine Aufgabe, die mir genügt: Ich habe diesen Trupp zum Heiligen Grab des Apostels zu führen! Jeder beliebige unserer Gefährten kann Euch helfen.«
    »Darf ich mir die Bemerkung erlauben, daß ich Euch mit ›Messire‹ angesprochen habe? Ich bin es nicht gewohnt, mit ›Frau‹ angeredet zu werden! Ich habe einen Namen. Ich bin Cathérine de Montsalvy!«
    »Vor allem habt Ihr einen unerträglichen Hochmut! Wir sind hier nur eine Versammlung von Sündern und Sünderinnen auf dem Weg zum Buße tun …«
    Der gleichermaßen verächtliche wie predigende Ton des Clermontesers löste bei Cathérine den mit Mühe zurückgehaltenen Zornausbruch aus.
    »Ihr habt es gerade nötig, vom Hochmut anderer zu reden, ›Bruder‹«, entgegnete Cathérine, absichtlich das Wort Bruder benutzend. »Das ist ein Thema, das Ihr offenbar ausgezeichnet kennt … nach der Wärme Eurer Nächstenliebe zu schließen!«
    In den grauen Augen Gerberts blitzte ein Zornesfunkeln auf. Sein Blick und der Catherines maßen sich herausfordernd, aber die junge Frau schlug die Augen nicht nieder. Sie empfand eine Art wilder Freude angesichts der sichtbaren Wut des Mannes. Er mußte ein für allemal begreifen, daß sie nie und nimmer bereit sein würde, sich seinem Gesetz zu unterwerfen … Dies sagte Catherines veilchenblauer Blick ganz deutlich. Gerbert täuschte sich keineswegs darüber.
    Mit einer instinktiven Bewegung hob er den mit einem dicken Stab bewaffneten Arm. Schnell warf sich einer der Pilger dazwischen, packte den erhobenen Arm und drückte ihn herunter.
    »Aber, aber, Bruder! Mäßigt Euch! Vergeßt nicht, daß Ihr es mit einer Frau zu tun habt, nicht mit einem
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