Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
Vielleicht hätte ich doch Percy sagen sollen, daß ich nach draußen ging. Ich schaute auf die Uhr, fast sechs Uhr dreißig. In einer halben Stunde würde jemand mein Abendessen hinaufbringen. Sollte ich tatsächlich mein erstes Mahl in meinem persönlichen Wohnzimmer verpassen? Ganz sicher würde jemand die Kaminscheite anzünden, die schon zum Verbrennen bereit lagen. Schön wäre es, vor meinem eigenen Kaminfeuer zu sitzen, in einen eleganten Sessel gekuschelt, und Delikatessen zu genießen, die ich wahrscheinlich nur hier zu essen bekäme. Abermals bog ich ab und steckte kurz darauf wieder in einer Sackgasse. Da ich mich aber einige Male im Kreis bewegt hatte, hatte ich jetzt die Richtung verloren und konnte nicht mehr feststellen, welche Pfade ich schon gegangen war. In dieser Situation zog ich ein Taschentuch aus meiner Tasche, riß einen Streifen davon ab und band ihn an einen Zweig in der Hecke. So, nun würde man ja sehen, wie rasch ich jetzt draußen wäre. Während die Sonne langsam zum Horizont hinunter verschwand, ließ sie den Himmel in glühenden Farben auflodern, eine Warnung an mich, daß die Nacht bald käme und mit ihr noch mehr Kälte. Aber was war schon diese zivilisierte Bostoner Gegend im Vergleich zur Wildnis in den Willies? Doch zu bald schon mußte ich feststellen, daß ein in Atlanta gekaufter Mantel nicht für Leute im Klima nördlich von Boston geeignet war! Ach komm, das war albern! Ich trug den besten Mantel, den ich je besessen hatte. Cal Dennison hatte ihn mir gekauft und mit dem schmalen, blauen Samtkragen hatte ich ihn vor kaum einem Monat für elegant gehalten.
Ich, die ich mit zwei und drei Jahren in den Bergen herumzustreifen pflegte und mich nie verirrte, ich, von einem albernen Labyrinth verwirrt, das doch nur zum Spaß da war! Ich durfte nicht durchdrehen. Irgend etwas mußte ich falsch machen, denn zum dritten Mal war ich schon an dem rosa Taschentuchstreifen, der im Wind flatterte, vorbeigekommen.
Ich mußte mich konzentrieren… Ich stellte mir das Labyrinth vor, den Punkt, an dem ich es betreten hatte, aber alle Pfade zwischen den hohen Hecken sahen gleich aus und beinahe hatte ich Angst, mein tröstliches Stoffstück zu verlassen, das mir wenigstens sagen konnte, wo ich dreimal gewesen war. Wie ich so unschlüssig dastand und meine Ohren spitzte, um das Krachen der Brandung am Strand zu hören, hörte ich zwar nicht die Wellen, die sich an den Felsen brachen, dafür aber ein ständiges Poch-Poch – jemand hämmerte irgendwo, menschliche Wesen in der Nähe! Von meinen Ohren ließ ich mich vorwärts führen.
Rasch und schwer brach die Nacht herein, und Nebelschwaden wirbelten auf dem Boden, wo die kalte Luft auf die noch warme Erde traf. Und kein noch so leiser Windhauch blies sie auf und davon. Immer weiter folgte ich dem Klang des Hämmerns, und dann, beunruhigenderweise, hörte ich, wie ein Fenster geschlossen wurde, peng! Kein Pochen mehr! Die Stille mit ihren schrecklichen Folgen betäubte mich. Die ganze Nacht lang könnte ich hier draußen herumwandern und niemand wüßte es. Wer würde schon daran denken, im Gartenlabyrinth nachzusehen? Verflixt, warum war ich nur rückwärts gelaufen? Meine Gewohnheit aus den Bergen erschien jetzt albern.
Wie Granny kreuzte ich die Arme über der Brust und ging die nächste Biegung nach rechts und gleich wieder rechts, wandte mich nie mehr nach links und plötzlich – war ich draußen! Leider nicht dort, wo ich angefangen hatte, denn nichts erkannte ich wieder, aber doch irgendwo, wo es besser war als in dem Puzzle drinnen. Es war zu dunkel und nebelig, um das Haus sehen zu können. Vor mir lag ein Weg aus hellen Platten, die in der Dunkelheit matt schimmerten. Ich roch die hohen Pinien, die wegen des Nebels und der Dunkelheit nur schwach zu erkennen waren, und dann entdeckte ich eine kleine Steinhütte mit einem roten Schieferdach. Sie duckte sich unter eine Pinientruppe, die ringsherum wuchs. Ich war so überrascht, daß ich leise aufschrie.
Was für ein Vergnügen, reich zu sein, Geld zum Verschwenden zu haben. So eine Hütte gehört in ein Buch von »Mutter Gans«, aber nicht hierher. Ein kniehoher Palisadenzaun, der nichts abschrecken konnte, schlängelte sich um die Hütte, Kletterrosen, die ich fast nur ahnen konnte, wuchsen daran entlang. Bei Tag wäre dies alles eine reizvolle Entdeckung gewesen, aber in der Nacht ging meine argwöhnische Phantasie mit mir durch, und ich fürchtete mich. Ganz still stand ich da und
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