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Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung

Titel: Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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sie eigentlich mir zugedacht hatte.«
    Carl nickte. Also hatte er nie mit Nete geredet. Das erklärte doch manches.
    Dann verfolgten sie eine Weile Curt Wads Röcheln und Augenzucken.
    »Ich glaube«, sagte Carl, »ich weiß auch ohne die Hilfe der Tischkärtchen, wer alles an diesem Tisch sitzt. Aber wen davon kannten Sie?«
    »Außer Nete kannte ich nur noch Rita.« Sie nickte in Richtung einer Leiche, die mehr hing als saß. »Erst als Sie kamen und mich ausfragten, begriff ich den Zusammenhang zwischen den Tischkarten und den realen Menschen, die Netes Weg gekreuzt hatten. Ich war bloß eine davon.«
    »Falls wir hier rauskommen, muss ich Sie festnehmen, das ist Ihnen klar, oder? Sie wollten mich mit dem Hammer erschlagen und mit dem Kaffee - was auch immer da drin war - vergiften«, sagte Carl. »Und vielleicht gelingt es Ihnen ja tatsächlich, mich loszuwerden.« Er deutete zu Curt Wad hinüber, der nur noch schwach blinzelte. Der Giftcocktail in Kombination mit dem Alter und dem Schock zeigte Wirkung.
    Nein, es wird nicht mehr lange dauern, dachte Carl, und es ist mir verdammt scheißegal. Curt Wads Leben für das von Assad, das ist das Mindeste.
    Die Frau neben ihm schüttelte den Kopf. »Sie haben ja so gut wie nichts von Ihrem Kaffee getrunken. Ich bin sicher, das reicht nicht, um Sie umzubringen. Die Giftmischung ist uralt.«
    Carl sah sie erstaunt an.
    »Gitte, Sie haben dreiundzwanzig Jahre lang Nete Hermansens Leben gelebt. Wie haben Sie das geschafft?«
    Sie versuchte zu lächeln. »Wir sahen uns ein bisschen ähnlich. Natürlich war ich etwas älter und damals, als es passierte, war ich ziemlich verbraucht. Aber ich habe mich erholt. Ein paar Monate auf Mallorca, dann hatte ich mich angepasst. Das Haar ein wenig aufgehellt, etwas schickere Garderobe, das kam mir alles sehr gelegen. Nete hatte ein besseres Leben gehabt als ich. Ein viel besseres. Selbstverständlich hatte ich Angst, bei der Passkontrolle oder von einem Bankangestellten oder sonst wem enttarnt zu werden. Aber wissen Sie was? Ich habe nach und nach festgestellt, dass niemand hier in Kopenhagen Nete kannte. Außer vielleicht die Nachbarn, aber auch nur vom Sehen. Ich musste bloß ein bisschen hinken, denn der Gehfehler war vielleicht doch dem einen oder anderen aufgefallen. Tja, und meine Gäste hier, die saßen doch gut, wo sie waren. In der Küche hab ich jede Menge Formalin gefunden, und ich konnte mir leicht ausrechnen, was Nete damit vorgehabt hatte. Also bekamen sie alle einen gehörigen Schluck in den Hals, damit sie nicht so schnell verwesten. Nachts, wenn die Nachbarn schliefen und es draußen trocken und kühl war, hab ich immer kräftig gelüftet. Gestank und Feuchtigkeit raus, frische Luft rein. Und Sie sehen ja das Ergebnis. Die Damen und Herren sitzen noch genauso ordentlich da, wie sie platziert wurden.«
    Na, das Schlückchen Formalin wird wahrscheinlich weniger dazu beigetragen haben als das Fehlen von Gewürm, dachte Carl.
    »Was hätte ich sonst auch tun sollen?«, fuhr Gitte Charles fort. »Hätte ich sie in Stücke hacken und die Leichenteile in Mülltüten stopfen sollen? Dann hätte man sie ganz sicher irgendwann gefunden. Nein, nein, das hatte Nete schon gut geplant. Und jetzt sitzen wir hier gezwungenermaßen mit ihr zusammen.«
    Sie lachte hysterisch, und der Grund dafür war leicht zu erraten. Sie hatte die Doppelrolle zwei Jahrzehnte lang gut gemeistert. Aber was nützte ihr das jetzt? Sie waren in einem perfekt isolierten Raum gefangen. Egal, wie laut sie schrien, niemand würde sie hören. Wer also sollte sie finden? Und wann? Rose war die einzige Person, die sich unter Umständen ausmalen konnte, wo er war, aber er hatte ihr eine Woche freigegeben.
    Carl sah zu Curt Wad hinüber, der sie in dieser Sekunde aus aufgerissenen Augen ungeahnt scharf fixierte. Dann lief ein Zittern durch den Körper des Alten, als sammelten sich seine Kräfte ein letztes Mal, und plötzlich drehte er sich einmal um sich selbst, während er in einem allerletzten Krampf mit seinem Arm auf die Frau neben Carl zustieß.
    Carl hörte Curt Wad sterben. Ein kurzes Lallen und ein kraftloses Ausatmen. Jetzt lag er reglos da und seine Augen, die die Menschen jahrzehntelang in »tauglich« und »untauglich« unterteilt hatten, blieben starr zur Decke gerichtet.
    Carl atmete tief durch, vielleicht erleichtert, vielleicht ohnmächtig. Dann wandte er den Kopf zu seiner schwach zitternden Nachbarin und sah das Skalpell, das tief in ihrem Hals
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