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Cappuccino fatale

Cappuccino fatale

Titel: Cappuccino fatale
Autoren: Kathrin Corda
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mir Trekkingsandalen oder ähnliche No-gos
aufgefallen, hätte ich mich augenblicklich durch den Hinterausgang oder gar aus
dem Klofenster davonstehlen müssen.
    Der Kellner stellt zwei Gläser, gefüllt mit einem rötlich sprudelnden
Gebräu, vor uns ab. Renato reicht mir ein Glas.
    »Auf dich und deine neue Unterkunft. Und auf Mailand und darauf,
dass wir uns kennengelernt haben!«
    Wir prosten uns zu, ich nippe an dem Getränk. Es erinnert mich an
Kindersekt, den es früher auf Geburtstagspartys im Anschluss ans Topfschlagen
gab.
    »Was ist das?«, will ich wissen.
    »Das ist alkoholfreier Prosecco mit Cranberrysirup«, erklärt mir
Renato in geradezu belehrendem Ton. »Oder trinkst du etwa Alkohol ?«,
fragt er bestürzt.
    »Manchmal, eher selten«, lüge ich und überschlage kurz, wie viel an
Lebenserwartung ich wohl in den letzten einunddreißig Jahren durch
übertriebenen Konsum von Cocktails und Rotwein eingebüßt habe.
    »Das ist gut, ich nämlich auch nicht«, Renato scheint aufzuatmen,
»denn es stört zu stark den Energiefluss.«
    »Welchen Energiefluss?«, möchte ich vorsichtig wissen. Offenbar habe
ich auf den unkontrollierten Spontanpartys der Agentur nicht nur meine Lebenserwartung,
sondern auch meine Energie dezimiert.
    »Den Pranafluss zwischen den Chakren«, erklärt Renato so
selbstverständlich, als würde er mir die Bushaltestellen von hier bis zum
Domplatz aufzählen.
    »Ach, das Sakral-Chakra«, stammele ich schwach, nachdem Renato mir
ausführlich die tief in den Lenden verankerten Energiezentren erklärt hat.
Worum geht es hier gerade? Um Sex oder um Buddhismus? Oder um beides?
    Zum Glück bringt der Kellner in diesem Moment das Essen und
unterbricht mich in meinen verwirrten Überlegungen. Ich hatte ganz vergessen,
wie viel Hunger ich habe, und mache mich gierig über meine Vollkornnudeln her.
Sie schmecken vorzüglich.
    »Erzähl mir von deinem Job«, bemühe ich mich um neutrales
Gesprächsterrain. »Wie ist das Leben so als Schmuckdesigner?«
    »Wie jede normale Arbeit auch. Ich entwerfe Schmuck und Skulpturen
und fertige sie dann an.«
    »Gießt du das Metall selbst?«, frage ich. Im Geiste sehe ich Renato
mit Schutzhelm und schweißnasser, gestählter Brust auf glühende Stahlstücke
einhämmern und bin irritierenderweise gleich schon wieder beim Sakral-Chakra.
    »Nein«, erwidert er ganz unschuldig. »Die Rohlinge lasse ich
anfertigen. Bei einer Werkstatt hier ganz in der Nähe. Ich muss übrigens gleich
noch eine Charge Ringe abholen. Komm doch mit, wenn du Lust hast. Dann kann ich
dir auch mein Atelier zeigen.«
    Und danach die Briefmarkensammlung?
    Nein, stopp. Ganz so genau möchte ich es heute dann doch nicht
wissen, dazu habe ich selbst genug um die Ohren. Ich muss mich um meinen Umzug
kümmern und ein paar dringende E-Mails schreiben. Außerdem sollte ich den Rest
des Tages nutzen, um ein paar Stunden zu schlafen, bevor heute Nacht wieder die
Megaparty unter meinem Bett steigt. Da kann ich mir
die vage Option auf eine Party auf dem Bett nicht
erlauben.
    »Tut mir leid, aber heute kann ich nicht. Ein andermal gerne«, lehne
ich daher ab und lasse den Blick zum mentalen Abschied über seine schönen
gepflegten Künstlerhände streifen.
    Renato gibt sich verständnisvoll. »Schade«, sagt er, »ganz wie du
willst.«
    Um ihn nicht erneut zu enttäuschen, bestelle ich den Kaffee nach dem
Essen ganz undeutsch frei von tierischer Kuhmilch. Und koffeinfrei.

4.
    An einem nebligen Montagmorgen mache ich mich an meinem
ersten Arbeitstag in Mailand auf den Weg in die Agentur. Ich rumpele mit der
Straßenbahn quer durch die Stadt und muss aufpassen, mich dabei nicht in den
Schlaf wiegen zu lassen. Ich fühle mich, als hätte ich die Tram bis hierher
eigenhändig geschoben .
    Mein Wochenende war in den Nächten weitestgehend schlaffrei. Vergangene
Nacht hat es das Markez mit seinen Gästen besonders
gut gemeint und den DJ bis in die Morgenstunden
spielen lassen. Als ich irgendwann gegen vier Uhr früh aufgestanden bin, um mir
etwas zu trinken zu holen, musste ich zurück in meinem Zimmer entsetzt
feststellen, dass Poppy direkt vor meinem Bett eine Pfütze gelassen hatte. Die
laute Musik war dem Hund wohl so sehr auf die Blase geschlagen, dass ich zu
allem Übel nun noch mitten in der Nacht mein Zimmer putzen durfte.
    Für meine Müdigkeit gibt es daher keinen Ausdruck, während ich die
todschicke Empfangshalle aus schwarzem Marmor, Glas und Stahl betrete und dabei
versuche, in meinen
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