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Candy

Candy

Titel: Candy
Autoren: Kevin Brooks
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wollte nicht, dass mich Leute anschauten. Aber andererseits, wenn ich die Münzen
nicht
aufhob, wenn ich einfach stehen blieb und sie auf dem Fußboden ließ, würde jeder denken, ich wäre ein verzogenes kleines Früchtchen, irgend so ein arroganter reicher Bengel mit zu viel Geld. Ich konnte mir vorstellen, wie sie dachten:
Schau ihn dir an, was glaubt er, wer er ist, dass er so rumsteht und sein Geld fortwirft   …
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Ich wünschte mir, ich wäre nie hergekommen.
    |20| Schließlich entschied ich mich für einen Kompromiss. Ich würde die Geldstücke aufheben, die ich sehen konnte, mich dann kurz umblicken, als ob ich nach dem Rest Ausschau hielte, danach die Schultern zucken und lässig zurück in die Schlange spazieren. Vielleicht könnte ich sogar versuchen, ein bisschen zu lächeln   … so ein Lächeln voll Selbstironie, das besagt:
Tsss, ich weiß auch nicht, das war wirklich ein bisschen blöd. Was bin ich nur für ein Trottel   …
    Ich fing gerade an, den Ausdruck zu üben, als eine junge Frau auf mich zutrat und mir eine Pfundmünze hinhielt.
    »Danke«, sagte ich.
    Sie lächelte und deutete quer durch den Raum. »Da drüben liegt noch eine – sie ist unter den Tisch gerollt.«
    »Stimmt«, sagte ich und blickte ängstlich zu den schwarzen Typen hinüber, die an dem Tisch saßen – rasierte Köpfe, hohle Augen, Skullcaps. Einer von ihnen drehte den Kopf und warf mir einen Blick zu, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Oh   … ja, danke«, sagte ich zu der Frau. »Ich hol sie mir vielleicht später.«
    Sie zuckte die Schultern und trat zurück in die Schlange. Ich schaute auf den Fußboden. Ich spürte, wie mich die schwarzen Typen musterten, ich spürte, wie mein Gesicht immer heißer wurde, ich spürte den Schweiß unter meiner Mütze heraussickern – und dann tippte mir jemand auf die Schulter und sagte: »Soll ich sie dir holen?«
    Ich war zu nervös, um ihre Stimme sofort wiederzuerkennen. Es war nur eine weitere Stimme, nur noch so ein guter Samariter, der sich unbedingt einmischen musste und alles noch schlimmer machte. Ich seufzte innerlich und drehte mich um in der Absicht, danke-danke-aber-nein-danke zu sagen, doch als ich sah, wer es |21| war, verschwanden die Worte aus meinem Kopf.
    Alles verschwand.
    Natürlich war es das Mädchen. Das Mädchen vom Bahnhof. Das Mädchen mit diesem Lächeln, dieser Haut und diesen Augen   …
    »Sie sind nicht so schlimm, wie sie aussehen«, sagte sie.
    Ich versuchte zu sagen:
Wer?
, aber mein Mund war wie betäubt. Das Einzige, was ich schaffte, war, meine Lippen zu schürzen und dämlich zu gucken.
    Das Mädchen lächelte. »Die Typen an dem Tisch   … sie sind nicht so unheimlich, wie sie aussehen. Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn du dir dein Geldstück zurückholst.«
    »Oh«, sagte ich.
    Sie sah mich an.
    Ich spürte, wie ich in ihren Augen versank.
    Ihr Kopf wackelte von einem kleinen Lachen, dann wandte sie sich ab und ging hinüber zu dem Tisch, wo die schwarzen Typen saßen. Sie schauten auf, als sie näher kam, und sie hob die Hand und sagte etwas zu einem von ihnen. Er zuckte die Schultern und zeigte seine Handflächen, dann lächelte er und erwiderte etwas. Sie lachte, berührte seinen Arm, dann bückte sie sich und hob die Pfundmünze unter dem Tisch auf. Als sie sich hinabbeugte, rutschte ihr Rock hoch und die Typen am Tisch reckten sich vornüber, um besser sehen zu können. Einer von ihnen schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als sei das mehr, als er ertragen könnte.
    Das Mädchen richtete sich wieder auf, nickte den schwarzen Typen zu, dann drehte sie sich um und kam zu mir zurück.
    »Da ist sie«, meinte sie und reichte mir die Münze.
    |22| »Danke«, sagte ich zu ihr. »Das wär doch nicht   …«
    »Kein Problem.«
    »Ich war gerade   … ich wollte auch   …«
    Sie berührte meinen Arm und sah hinter mich. »Du bist dran.«
    »Was?«
    Sie nickte zur Theke. »Du bist dran. Die warten schon.«
    Ich schaute mich um. Ich stand an der Theke. Irgendwie hatte ich es geschafft, an die Spitze der Schlange zu kommen. Ein schlaksiger Knabe mit dünnen Fransen stand hinter der Kasse und sah mich erwartungsvoll an.
    »Was möchtest du?«, sagte er.
    »Mhm   … Entschuldigung. Ich hätte gern, äh   … ich hätte gern   … ähm   …« Ich schaute wieder auf die Menütafel, sah nichts, sondern schaute nur um des Schauens willen, denn ich wusste nicht, wo ich sonst
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