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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Nur lästert er zuerst im Namen der Ordnung, indem er in Gott den Vater des Todes und den größten Skandal aufdeckt.
    Kehren wir zum Sklaven im Aufstand zurück, um diesen Punkt zu beleuchten. Mit seinem Protest bestätigte er die Existenz des Herrn, gegen den er sich auflehnte. Und gleichzeitig bewies er, dass er dessen Macht an seine eigene Abhängigkeit gebunden hielt, und er bekräftigte seine eigene Macht: unaufhörlich die Überlegenheit dessen in Frage zu stellen, der ihn bis dahin beherrschte. In dieser Hinsicht sind Herr und Knecht in der gleichen Zwangslage: die zeitweilige Herrschaft des einen ist ebenso relativ wie die Unterwerfung des andern. Die beiden Kräfte erhärten sich abwechslungsweise im Augenblick der Rebellion, bis sie aufeinanderstoßen, um einander zu vernichten, wobei die eine der beiden vorläufig verschwindet.
    Gleicherweise, wenn ein metaphysisch Revoltierendersich erhebt gegen eine Gewalt, deren Existenz er damit bejaht, setzt er diese Existenz erst im Augenblick, da er sie bestreitet. Er zieht dann dieses höhere Wesen in dasselbe demütigende Abenteuer, seine nichtige Macht entspricht somit unserem nichtigen Stand. Er unterwirft es unserer Kraft der Abweisung, beugt es seinerseits vor dem unbeugsamen Teil des Menschen, fügt es mit Gewalt in eine in unserem Betracht absurde Existenz, zieht es schließlich aus seinem zeitlosen Refugium und kettet es an die Geschichte, fern von einer ewigen Dauerhaftigkeit, die es nur in der einhelligen Zustimmung des Menschen finden könnte. Die Revolte bestätigt also, dass auf ihrer Stufe jede höhere Existenz zum mindesten widerspruchsvoll ist.
    Die Geschichte der metaphysischen Revolte kann somit nicht mit derjenigen des Atheismus verwechselt werden. Unter einem bestimmten Gesichtspunkt fällt sie sogar zusammen mit der heutigen Geschichte des religiösen Gefühls. Der Revoltierende fordert eher heraus, als dass er leugnet. Am Anfang wenigstens beseitigt er Gott nicht, er spricht einzig als Ebenbürtiger mit ihm. Doch handelt es sich nicht um ein höfliches Zwiegespräch. Es handelt sich um eine Polemik mit dem Wunsch zu siegen. Der Sklave fordert zu Beginn Gerechtigkeit und am Ende die Herrschaft. Es drängt ihn, nun seinerseits zu herrschen. Der Aufstand gegen sein Leben wächst zu einem maßlosen Feldzug gegen den Himmel aus mit dem Ziel, von dort einen König als Gefangenen einzubringen, dessen Thronverlust und Todesurteil man nacheinander aussprechen wird. Die Rebellion des Menschen endet als metaphysische Revolution. Ihr Weg führt vom Scheinen zum Handeln, vom Dandy zum Revolutionär. Ist der Thron Gottes einmal umgestürzt, erkennt der Aufrührer, dass es nun an ihm ist, jene Gerechtigkeit, jene Ordnung und Einheit, die er vergeblich auf seiner Lebensstufe gesucht hat, miteigenen Händen zu erschaffen und damit die Absetzung Gottes zu rechtfertigen. Dann wird eine verzweifelte Anstrengung beginnen, falls nötig um den Preis des Verbrechens, das Reich des Menschen zu gründen. Das wird nicht ohne schreckliche Folgen geschehen, deren wir erst einige kennen. Aber diese Folgen sind keineswegs der Revolte selbst zuzuschreiben, oder sie treten wenigstens nur in dem Maße an den Tag, wie der Revoltierende seine Ursprünge vergisst, der harten Spannung zwischen Ja und Nein müde wird und sich schließlich der Verneinung von allem oder der völligen Unterwerfung überlässt. Der metaphysische Aufstand zeigt uns in seiner ersten Bewegung den gleichen positiven Inhalt wie die Rebellion des Sklaven. Unsere Aufgabe wird es sein, zu untersuchen, was aus diesem Inhalt der Revolte in ihren Werken wird, und anzugeben, wohin die Untreue und die Treue des Revoltierenden seinen Ursprüngen gegenüber führen.

Die Söhne Kains
    Die metaphysische Revolte im eigentlichen Sinn erscheint in der Geschichte der Ideen erst am Ende des 18. Jahrhunderts in zusammenhängender Form. Die Neuzeit öffnet sich da mit dem großen Lärm einstürzender Mauern. Aber von da an rollen ihre Folgen ununterbrochen ab, und es ist nicht übertrieben anzunehmen, dass sie die Geschichte unserer Zeit geformt haben. Heißt das, dass die metaphysische Revolte vor dieser Zeit keinen Sinn gehabt habe? Ihre Vorbilder liegen indes sehr fern, da unsere Zeit sich ja gern prometheisch nennt. Aber ist sie es wirklich?
    Die ersten Theogonien zeigen uns Prometheus an eine Säule gekettet, ein ewiger Märtyrer am Ende der Welt, für immer ausgeschlossen von jeder Vergebung, die zu erbitten er sich
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