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Camorrista

Titel: Camorrista
Autoren: Giampaolo Simi
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schwarze Locken hervor. Hätte er nicht diese prollige Solariumbräune, würde er fast wie ein englischer Rockstar aussehen. Seine Lippen sind blass. Halb geöffnet beim Atmen. Die Jeans haben breite bunte Nähte an den Oberschenkeln. Die Sohlen der goldenen Sportschuhe sind brandneu, makellos.
    »Und noch was: Bis ich wiederkomme, bewegst du dich nicht aus diesem Zimmer. Ausnahme, wenn du ins Bad gehst, das ist hier vorn. Fragen?«
    Er dreht sich zur anderen Seite und richtet das Kissen unter seinem Kopf. Das scheint mir ein klares Nein zu sein. Ich stehe auf, ziehe den Schlüssel aus dem Schloss und sage ihm gute Nacht.
    Ich schließe leise die Tür und hole tief Luft. Für ein paar Stunden ist Ruhe. Ich kann nach Hause gehen und schlafen. Es ist alles gut gegangen, abgesehen von den Reibereien mit den Carabinieri. Aber darum hat sich ja zum Glück Reja gekümmert.
    Ich gehe ins Bad (endlich) und stelle fest, dass Padre Jacopo den Spiegel und die Glaskonsole entfernt hat. Darum hatte ich ihn gebeten. Auch die Duschkabine ist durch einen Duschvorhang mit Blümchen, der recht und schlecht an einer Kordel hängt, ersetzt worden; mir ist nämlich eingefallen, dass zerbrochenes Plexiglas sehr scharfe Ränder haben kann. Die Dusche selbst erscheint mir nicht hoch genug, um sich daran aufzuhängen. Ich will nicht, dass der kleine Scheißkerl diese Welt verlässt, bevor er die einzige gute Sache in seinem Leben getan hat, nämlich uns ein paar andere Scheißkerle seines
Schlags auszuliefern. Wenn man bedenkt, wie bevorzugt er behandelt wird, muss er eine Menge auszupacken haben.
    Und außerdem, lieber Himmel, würde er mich in einen Haufen Schwierigkeiten bringen, und das beim ersten Auftrag.
     
    Irgendwann sagt Morano im Auto zu mir: »Ich musste Reja vorhin widersprechen.«
    »Warum?«
    »Meiner Meinung nach solltest du heute Nacht hier bleiben.«
    Das hätte mir gerade noch gefehlt. Ich zucke mit den Schultern und atme die Luft ein, die mir durchs Fenster ins Gesicht weht. Sie ist gut. Sie duftet nach frischem Heu und Kamille.
    »Bei Bedarf können wir über das Nebenzimmer verfügen.«
    »Der hat sich aus dem Gefängnis holen lassen. Ein Satz aus dem Fenster, und er verschwindet auf Nimmerwiedersehen.«
    »Aber wo soll er denn hin?«
    »So einer weiß immer, wohin.«
    »Wenn einer sich entschließt zu kooperieren, schneiden sie ihm den Rückweg ein für alle Mal ab. Und außerdem hat der niemanden. Seine Mutter ist in einer sozialtherapeutischen Einrichtung.«
    »Schöne Familie. Und der Vater?«
    »Keine Ahnung. Unbekannt.«
    »Ein Bastard im wahren Sinne des Wortes.«
    Ich habe nicht mal Lust, so zu tun, als sei das lustig. Ich bin todmüde, und meine Laune ist im Moment sogar noch schlechter als die meines Kollegen. Morano hat in Reja den Prototypen des jungen Polizisten, der studiert hat, dynamisch und leistungsfähig ist, ausgemacht. Und das ist genau der Typ, den er hasst, sogar noch mehr als diejenigen, die Karriere machen, »nur weil sie in der Gewerkschaft sind«.
    »Reja bestimmt, was in diesem Zentrum passiert, und steht in direktem Kontakt mit D’Intrò und der Staatsanwaltschaft.«

    »Ah, der berühmte D’Intrò«, sagt Morano. Doch dann fügt er nichts mehr hinzu. Neid oder Bewunderung, ich könnte es nicht sagen. Er kratzt sich über die gotische Schrift auf seinem Bizeps und schnaubt. Wir kommen an einen geschlossenen Bahnübergang, doch Morano beschließt, zu wenden und ein paar Kilometer Umweg zu fahren, nur um in dieser dunklen Gegend den Motor nicht abstellen zu müssen.
     
    Endlich bin ich zu Hause, doch ich kann keinen Schlaf finden. Der Lärm, der mich stört, ist die Stille des ganzen Dorfs, das um mich herum schläft.
    Ich gieße Heidelbeersaft in mich hinein und lege mich auf die Couch, die Füße auf die Lehne. Bewege die freien Zehen. Der Nagellack ist schon abgeplatzt. Kein Wunder, wenn ich immer geschlossene Schuhe trage.
    Ich frage mich, wie ich es gemacht habe (nicht schlecht, würde ich sagen). Der kleine Bastard schien völlig zugeballert, oder vielleicht haben sie ihn sediert, wie einen Tiger im Zirkus. Wenn er die ganze Woche im halb komatösen Zustand bleibt, habe ich leichtes Spiel.
    Aber ich weiß gut, dass ich es mir zu einfach vorstelle. Das ist kein leichter Job.
    Ich schaue auf den Computer. Als ich weggegangen bin, habe ich vergessen, ihn auszuschalten, aber wenigstens habe ich den grün fluoreszierenden kleinen Stift in den Safe eingeschlossen. Wenn ich an das ganze
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