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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Autoren: Jacqueline Kelly
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andere Art als die grünen, und dass ich, Calpurnia Virginia Tate, sie entdeckt hatte. Aber war es nicht so, dass eine brandneue Spezies stets nach ihrem Entdecker benannt wurde? Ich würde berühmt werden! Landauf, landab würde man meinen Namen kennen, der Gouverneur würde mir die Hand schütteln, die Universität mir Diplome verleihen.
    Aber wie ging es nun weiter? Wie sollte ich meine Ansprüche in der Welt der Wissenschaft geltend machen? Ich hatte so eine vage Ahnung, dass ich an jemanden schreiben musste, um meinen Fund registrieren zu lassen, an irgendeine Behörde in Washington.
    Ich hatte gehört, wie mein Großvater und unser Pfarrer, Mr. Barker, sich bei Tisch über das Buch Die Entstehung der Arten von Mr. Charles Darwin unterhalten hatten, über die Dinosaurier, die gerade in Colorado ausgegraben wurden, und darüber, was das alles für das biblische Buch Genesis bedeutete. Sie sprachen darüber, wie die Natur die Schwachen ausmerzt und nur die Zähen weiterleben lässt. Unsere Lehrerin, Miss Harbottle, hatte Mr. Darwin beiläufig erwähnt und dabei nicht sehr angetan ausgesehen. So ein Buch, in dem es um die Entstehung der Arten ging, könnte mir bestimmt sagen, was ich tun sollte. Doch wie um alles in der Welt sollte ich darankommen, wenn in unserem Teil der Welt noch so erbittert darüber gestritten wurde? In San Antonio gab es ja sogar einen Ableger der Flat Earth Society, die die Ansicht vertrat, die Erde sei eine Scheibe.
    Dann fiel mir ein, dass Harry mit dem Pferdefuhrwerk nach Lockhart musste, um Vorräte zu besorgen. Lockhart war der Verwaltungssitz des Landkreises Caldwell, und dort befand sich auch die öffentliche Leihbibliothek. Wenn es irgendwo Bücher gab, dann dort. Ich musste also nichts weiter tun, als Harry, den einzigen meiner Brüder, der mir nichts abschlagen konnte, zu bitten, mich mitzunehmen.
     
    Nachdem alles Geschäftliche in Lockhart erledigt war, hatte Harry wenig Eile, den Heimweg anzutreten; lieber stand er noch an der Straßenecke herum und betrachtete bewundernd die Figuren der Damen, die vorbeipromenierten und die neuesten Kreationen der örtlichen Hutmacherin vorführten. Ich murmelte eine Entschuldigung und lief eilig über den Platz vor dem Gerichtsgebäude. In der Bibliothek war es kühl und dunkel. Ich steuerte direkt auf den Tisch zu, hinter dem die ältliche Bibliothekarin gerade einem dicken Mann im weißen Leinenanzug mehrere Bücher überreichte. Dann war ich an der Reihe. Im selben Moment näherten sich eine Frau mit einem kleinen Jungen, Mrs. Ogletree und ihr sechsjähriger Sohn Georgie. Georgie und ich hatten dieselbe Klavierlehrerin, und unsere Mütter waren miteinander bekannt.
    O nein! Das Letzte, was ich brauchen konnte, war eine Zeugin.
    »Guten Tag, Callie«, sagte Mrs. Ogletree. »Ist deine Mutter auch da?«
    »Sie ist zu Hause, Mrs. Ogletree. Hallo, Georgie.«
    »Hi, Callie«, sagte er. »Was machst du denn hier?«
    »Ähm – ich wollte mir nur mal ein paar Bücher ansehen. Aber du hast deine ja schon, geh ruhig vor, bitte.«
    Ich trat zurück und überließ den beiden mit einer großzügigen Handbewegung meinen Platz.
    »Oh, vielen Dank, Callie«, sagte Mrs. Ogletree. »Wirklich reizend von dir. Das muss ich unbedingt deiner Mutter sagen, wenn ich sie das nächste Mal sehe.«
    Nach einer wahren Ewigkeit gingen die beiden endlich. Die ganze Zeit schaute ich mich verstohlen um, ob womöglich weitere Besucher kamen. Die Bibliothekarin sah mich misstrauisch an. Ich trat an ihren Tisch. »Bitte, Ma’am, haben Sie vielleicht ein Exemplar von Mr. Darwins Buch?«
    Sie beugte sich weit vor. »Wie war das?«
    »Mr. Darwins Buch. Sie wissen doch, Die Entstehung der Arten .«
    Sie sah mich fragend an und legte eine Hand hinters Ohr. »Du musst schon lauter sprechen.«
    Mit bebender Stimme, aber lauter als zuvor sagte ich: »Mr. Darwins Buch. Sie wissen schon. Bitte.«
    Sie durchbohrte mich mit einem säuerlichen Blick. »Mit Sicherheit nicht. So etwas würde ich in meiner Bibliothek nicht dulden. Die Bibliothek in Austin besitzt ein Exemplar, doch das müsste ich per Post ordern. Das macht fünfzig Cent. Hast du fünfzig Cent?«
    »Nein, Ma’am.« Ich spürte, wie mir ganz heiß im Gesicht wurde. In meinem ganzen Leben hatte ich noch keine fünfzig Cent besessen.
    »Außerdem«, fügte sie hinzu, »muss deine Mutter dir schriftlich erlauben, dieses Buch zu lesen. Hast du so ein Schreiben?«
    »Nein, Ma’am«, sagte ich tief beschämt. Mich juckte es am
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