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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg
Autoren: James S. A. Corey
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Bobbie beobachtete immer noch die irdischen Marinesoldaten vor der kleinen Wachhütte, die umgekehrt auch sie überwachten. Abgesehen von Snoopy entdeckte sie noch jemanden, den sie Stumpy nannten, weil er oder sie höchstens eineinviertel Meter groß zu sein schien. Sie fragte sich, wie die anderen sie selbst nannten. Vielleicht war sie bei denen da drüben der »Rote Riese«, denn ihre Rüstung trug noch die marsianischen Tarnfarben. Bobbie war noch nicht lange auf Ganymed, und der Anzug war noch nicht in das hier übliche gesprenkelte Grau und Weiß umgefärbt worden.
    Im Laufe von fünf Minuten verdunkelten sich nacheinander die Orbitalspiegel, während Ganymed für die nächsten paar Stunden im Schatten Jupiters verschwand. In den Gewächshäusern flammte bläuliches Kunstlicht auf. Es wurde zwar nicht merklich dunkler, aber auf einmal verlagerten sich die Schatten auf eine seltsame Art und Weise. Die Sonne, die von hier aus keine Scheibe mehr, sondern lediglich der hellste Stern am Himmel war, tauchte hinter Jupiters Krümmung. Einen Moment lang wurde das schwache Ringsystem des Planeten sichtbar.
    »Sie gehen rein«, meldete der Gefreite Travis. »Snoopy bildet die Nachhut. Der arme Kerl. Können wir auch abhauen?«
    Bobbie ließ den Blick über das eintönige schmutzige Eis Ganymeds wandern. Trotz der hoch technisierten Rüstung glaubte sie, die Kälte des Mondes zu spüren.
    »Nein.«
    Ihre Leute grollten, folgten ihr aber, als sie in der niedrigen Schwerkraft rund um die Kuppel hüpfte. Abgesehen von Hillman und Travis hatte sie noch einen unerfahrenen Soldaten namens Gourab dabei. Obwohl er erst seit anderthalb Monaten bei den Marinesoldaten war, grummelte er in dem gleichen leiernden Tonfall wie die anderen beiden.
    Sie konnte den Männern keine Vorwürfe machen. Es war eine absolut sinnlose Aufgabe. Beschäftigungstherapie für die marsianischen Soldaten. Wenn die Erde beschloss, Ganymed für sich allein zu beanspruchen, konnten vier um ein Gewächshaus spazierende Soldaten sie nicht davon abhalten. Dutzende Kriegsschiffe von Erde und Mars kreisten in einem angespannten Waffenstillstand in Umlaufbahnen. Falls dort oben Feindseligkeiten ausbrachen, würden die Bodentruppen es erst herausfinden, wenn das Bombardement längst eingesetzt hatte.
    Links neben Bobbie erhob sich die Kuppel fast einen halben Kilometer hoch: dreieckige Glasscheiben zwischen glänzenden kupferfarbenen Streben, die das ganze Gebäude in einen riesigen Faradaykäfig verwandelten. In den Kuppeln war sie noch nie gewesen. Als der Mars Truppen ausgehoben und eilig zu den äußeren Planeten geschickt hatte, war sie dabei gewesen und versah seitdem ihren Wachdienst. Für sie war Ganymed ein Raumhafen, eine kleine Marinebasis und der noch kleinere Vorposten, den sie gegenwärtig als ihre Heimat bezeichnete.
    Während sie um die Kuppel schlurften, betrachtete Bobbie die wenig bemerkenswerte Landschaft. Solange es keine Katastrophen gab, veränderte Ganymed sich kaum. Die Oberfläche bestand vor allem aus Silikaten und Wassereis, das ein paar Grad wärmer war als der Weltraum. Die Atmosphäre enthielt Sauerstoff in so niedriger Konzentration, dass man sie für industrielle Zwecke als Vakuum betrachten konnte. Ganymed erodierte und verwitterte nicht. Der Mond veränderte sich nur, wenn aus dem Weltraum Steinbrocken herabfielen oder wenn warmes Wasser aus dem Kern an die Oberfläche quoll und kurzlebige Seen erzeugte. Dies geschah jedoch nicht sehr oft. Daheim auf dem Mars verwandelten Wind und Staub beinahe stündlich die Landschaft. Hier waren die Fußabdrücke des Vortages, des vorletzten und der Tage davor noch gut erhalten. Wahrscheinlich würden diese Abdrücke sogar die Besitzer der Stiefel überleben. Insgeheim fand sie das ein wenig unheimlich.
    Auf einmal übertönte ein rhythmisches Quietschen das leise Zischen und Poltern ihres motorverstärkten Anzugs. Normalerweise minimierte sie das Helmdisplay. Dort wurden so viele Daten dargestellt, dass ein Marinesoldat buchstäblich alles wusste und zugleich nicht mehr sah, was direkt vor ihm vorging. Jetzt vergrößerte sie die Anzeige und blätterte blinzelnd und mit Augenbewegungen bis zum Diagnosemenü ihres Anzugs. Ein gelbes Warnlicht verriet ihr, dass der Antrieb des linken Knies nicht mehr viel Hydrauliköl hatte. Anscheinend war irgendwo ein Leck entstanden, aber es konnte nicht groß sein, weil der Anzug es nicht fand.
    »He, Jungs, wartet mal«, sagte Bobbie. »Hilly, hast du
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