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Cagot

Cagot

Titel: Cagot
Autoren: Tom Knox
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Menschen mit aufgespannten Regenschirmen hasteten an der düsteren Architektur vorbei; es war wie auf einem Foto von London in den fünfziger Jahren.
    Das Hotel Donostia war exakt so, wie es auf der Website herübergekommen war: verblichen und steif. Der Portier bedachte Davids zerknittertes Hemd mit einem missbilligenden Blick. Aber das war David egal - er delirierte fast vor Müdigkeit. Er fand sein Zimmer und schlug sich mit seiner Schlüsselkarte herum; dann ließ er sich auf ein übertrieben weiches Bett plumpsen und schlief elf Stunden durch. Er träumte von einem Haus, in dem niemand war. Er träumte von seinen Eltern, lebendig, in einem Auto - mit kleinen Wildpferden, die über die Straße galoppierten. Dann ein Schrei. Dann Rot. Dann ein kleiner Junge, der über einen riesigen verlassenen Strand rannte. Aufs Meer zu.
    Als er aufwachte, öffnete er die Vorhänge - und machte große Augen. Der Himmel war strahlend blau, die Septembersonne war zurückgekehrt. David zog sich an, stopfte sich mit Kaffee und Gebäck voll, ließ sich dann ein Taxi rufen und nahm am Bahnhof einen Leihwagen. Nach kurzem Zögern mietete er das Auto für einen Monat.
    Die Hauptausfallstraße aus dem tristen Bilbao führte nach Osten, in Richtung französische Grenze. Wieder musste er an seine Eltern und seinen Großvater denken; er riss sich von den Gedanken los und konzentrierte sich auf die Straße. War er überhaupt richtig? Er fuhr auf eine Agip-Tankstelle; ihr riesiges Plastiklogo - ein Feuer spuckender schwarzer Hund - war im grellen Sonnenlicht besonders knallig. Nachdem er geparkt hatte, holte er die alte Landkarte heraus und studierte die feinen blauen Sternchen, die die grauen Berghänge sprenkelten. Sie sahen aus wie ferne Blaulichter, die durch Nebel und Regen drangen.
    Dann faltete er die Karte in der Mitte und merkte zum ersten Mal, dass jemand etwas auf die Rückseite geschrieben hatte. Selbst im hellen Sonnenlicht war das Geschriebene kaum zu erkennen. Wahrscheinlich war es baskisch oder spanisch. Möglicherweise auch deutsch. Die Schrift war so klein und verblichen, dass sie kaum zu entziffern war.
    Ein weiteres Rätsel - und er war auch der Lösung der anderen keinen Schritt näher gekommen. Aber zumindest eines verriet ihm die Karte: Er war auf dem richtigen Weg, ins »echte« Baskenland. Er startete den Motor wieder.
    Die Schönheit der Landschaft war atemberaubend. Manchmal konnte er das blaue Meer sehen, den in der Sonne glitzernden Golf von Biskaya. Dann wieder schlängelte sich die Straße durch schattige grüne Täler, deren weißgetünchte baskische Häuser wie kubische Pilze über Nacht aus dem Boden gesprossen zu sein schienen.
    Kurz vor San Sebastian gabelte sich die Straße; die schmalere Abzweigung führte ins Landesinnere: ins Bidasoa-Tal. Wilde Gebirgsflüsse gurgelten durch schattige Schluchten, gewaltige Eichen- und Kastanienwälder rauschten in der milden Septemberluft. Lesaka war nicht mehr weit. Er war im baskischen Navarra. Und beinahe am Ziel.
    David fuhr langsamer, als der Ort vor ihm auftauchte.
    Irgendetwas war in Lesaka los. Den Ortsrand säumten schwarze Polizeifahrzeuge mit vergitterten Fenstern. Mürrische spanische Bereitschaftspolizisten saßen herum und telefonierten mit ihren Handys; alle waren schwerbewaffnet.
    Einer der Polizisten sah David finster an und warf einen stirnrunzelnden Blick auf das Kennzeichen seines Leihwagens. Dann schüttelte er den Kopf und deutete auf einen freien Parkplatz. Etwas genervt parkte David. Der Polizist wandte sich ab. Er interessierte sich nicht weiter für David; er wollte nur, dass er das Auto abstellte und zu Fuß weiterging.
    Gehorsam nahm David seinen Rucksack und ging das letzte Stück nach Lesaka zu Fuß. Das schwerbewaffnete Polizeiaufgebot erinnerte ihn an das, was er über die Unabhängigkeitsbestrebungen der baskischen Terrororganisation ETA gelesen hatte. Ein richtig schmutziger Kleinkrieg: Morde und Bombenanschläge; extreme, geradezu unfassbare Brutalitäten; Männer mit Frauenperücken, die Teenager erschossen. Richtig schmutzig.
    Hatte dieser Polizeieinsatz damit zu tun?
    Es war fast anzunehmen, obwohl es schwerfiel, solche Gräuel mit einem Ort wie Lesaka in Verbindung zu bringen. Die stille Gebirgsluft war kühl und angenehm: die Frische der Berge. Der Himmel war von Wolken betupft, aber dennoch schien die Sonne auf die alten Steinhäuser und die malerischen kleinen Plätze sowie auf die auf einer Anhöhe gelegene Kirche. An den
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