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Café Wichtig - Herzblatt-Casting und mehr. Satirische Texte über Liebe und Freundschaft.

Café Wichtig - Herzblatt-Casting und mehr. Satirische Texte über Liebe und Freundschaft.

Titel: Café Wichtig - Herzblatt-Casting und mehr. Satirische Texte über Liebe und Freundschaft.
Autoren: Astrid Korten
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nennen die Alzheimer-Station den „Gemüsegarten“.
    Ein feinfühliger Haufen, diese Neurologen. Pflegepersonal und Zivildienstleistende kümmern sich hier aufopferungsvoll um leere Augen, schlaffe Münder und vollgesabberte Kinne. Fröhlich, immer fröhlich. Die Schwestern nennen die Patienten „Schatz“ und „Süße“ oder „mein Hübscher“. Eine andere Sprache verstehen alzheimerkranke Patienten nicht. Das oberste Gebot auf einer solchen Station lautet: Redet mit denen, die nie antworten.
    Auch Herr Habgenug litt an der Gemüsegarten-Erkrankung, aber wir liebten ihn deshalb nicht weniger. Er nannte uns „seine Mädels“ und Holly nannte ihn in Gedanken „ihre n Herrn Habgenug“.
    In den vergangenen Jahren haben wir mit Herrn Habgenug viele Stunden verbracht, miterlebt, wie die unheilbare Krankheit ihren Lauf nahm, Freude und Leid geteilt. Wie gerne erinnern wir uns an die vielen kleinen Anekdoten aus gemeinsamen Tagen.
    Wir liebten ihn, weil er uns immer wieder die gleiche Geschichte erzählte und die Zeitung auf den Kopf gedreht las. Wer kann das schon? Er mochte Multiple Choice, wiederholte unsere Antworten und ging allen damit auf die Nerven. Nur uns nicht. Er liebte uns, weil er viele Gegenstände an ungewöhnliche Plätze legte und wir dann mit ihm „Suchen“ spielten.
    Wir liebten ihn, weil er nicht mehr wusste, wie die TV-Fernbedienung funktionierte, und wir unser Programm selbst bestimmen konnten, weil er gerne mit uns shoppen ging und begeistert mit uns tanzte.
    Auch fuhr er gerne mit uns in den Urlaub und hielt uns mit seiner Eifersucht dort andere Männer vom Hals. Man hat uns im Urlaub bestaunt, wenn wir mit ihm lachten, und so mancher Mann war neidisch auf diese Zuwendung im Viererpack. Er hat diesen Neid genossen, denn er duldete keine Eindringlinge in unseren Raum der Intimität.
    Im Urlaub hat er uns ganz schön auf Trab gehalten. Das konnte er wirklich gut, denn Herr Habgenug war ein kleiner Schlawiner, der es verstand, jede Einzelne von uns einzuspannen: Während das Cappuccino-Mädchen an der Bar sein Lieblingsgetränk holte, musste die Zweite schnellstens ein Zigarillo anzünden, da er ansonsten andere Urlaubsgäste mit seinem Lieblingskraut versah. Manchmal ging ihm alles nicht schnell genug. Dann kam das Bussi-Mädchen zum Einsatz, um ihn zu beruhigen. Und wenn auch das nicht half, machten wir mit ihm eine Runde durch das Lokal und landeten mit einem triumphierenden Herrn Habgenug wieder an seinem Tisch, wo der Cappuccino mittlerweile auf ihn wartete.
    Oft sah Herr Habgenug uns an und erkannte uns nicht. Er lebte in einer anderen Welt, obwohl wir bei ihm waren. Auch diesen Weg sind wir mit ihm gegangen. Dennoch schaffte er es immer wieder, seiner Welt für wenige Minuten zu entfliehen, und überraschte uns mit geistiger Präsenz, fragte uns etwas Persönliches. Das waren für uns die schönsten Momente, die wir mit ihm erleben durften, weil uns bewusst wurde, dass auch wir einen kleinen Platz in seiner Welt besaßen.
    Und dieses Wissen spendet uns Trost.
    Unser Freund hat uns auf außergewöhnliche Weise gezeigt, dass man durch Zuwendung und Liebe einen Alzheimer-Kranken glücklich machen kann. Er war ein Herzensfreund, der liebenswerteste Mensch, der zu leben verstand und andere leben ließ, er war Familie. Er hat uns zugehört und uns angenommen, wie wir waren. Er zeigte uns Toleranz, Großzügigkeit, die Bedeutung von Freundschaft sowie die Tatsache, dass man nur sich gehört.
    Herr Habgenug ist tot. E r starb im Alter von 59 Jahren . Ein Leiden fand sein Ende und wir wissen jetzt, dass Gott auch gnädig sein kann. E r hat sich einfach davongeschlichen, wie in seinem Lieblingslied von Ludwig Hirsch.
     
    Komm großer schwarzer Vogel, komm jetzt!
    Komm, das Fenster ist weit offen.
    Spann‘ Deine weiten, sanften Flügel aus.
    Jetzt wär’s grad günstig!
    Die anderen da im Zimmer schlafen fest,
    und wenn wir ganz leise sind,
    hört uns die Schwester nicht!
    ... wie lautlos du fliegst,
    ... mein Gott, wie schön du bist.
    Auf geht’s, großer schwarzer Vogel,
    mitten in den Himmel hinein,
    ... in eine neue Welt
    Ich werd' singen, ich werd' lachen,
    ich werd' „das gibt's nicht" schreien,
    weil ich werd' auf einmal kapieren,
    ich werd' glücklich sein!
    Ich werd' singen,
    ich werd' lachen,
    ich werd' endlich glücklich sein!
     
    Wir haben Herr Habgenug geliebt, weil er uns bedingungslose Zuneigung entgegengebracht und in uns Gefühle geweckt hat, die im Alltagsstress
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