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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata
Autoren: Eugen Ruge
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zu geizig war, das Eintrittsgeld zu zahlen, falls ein solches verlangt wurde, jedenfalls sah ich das Bauwerk nur von außen: eine monströse Kleckerburg, die ich mehrmals umkreiste, fassungslos vor so viel steingewordenem Wahn. Sechs oder sieben oder acht schwarze Türme stachen wie Lanzen in den seidenen Abendhimmel. Im Park auf der Rückseite der Kathedrale bettete sich eine Obdachlose zur Nacht.
    Stadteinwärts war ich ein paar Stationen mit der U-Bahn gefahren, zurück ging ich zu Fuß, noch immer suchend – wonach? Mein Reiseführer empfahl mir die barcelonischen Diskotheken, es war die Rede von der heißesten Meile Spaniens , und ich erinnere mich tatsächlich an rot-grün-blau illuminierte Kellereingänge, aus denen Musik heraufpulste. Ich erinnere mich, dass ich vorbeiging, ohne stehen zu bleiben: Schon damals, mit knapp über vierzig, fühlte ich mich zu alt, fürchtete ich die durch mich hindurchgehenden Blicke der jungen Frauen, die ihre Jugend vor sich hertrugen wie ein persönliches Verdienst, fürchtete den Vergleich mit ernsten jungen Männern, die schwarzumrandete Brillen trugen und sich mit nachdenklicher Geste durchs dunkel glänzende Haar fuhren.
    Irgendwann landete ich wieder auf der Rambla . Es war jetzt Nacht. Ein, wenn ich nicht irre, zunehmender Mond stand am Himmel. Ein kalter Wind wehte. Die Rambla war leer. Nur die zusammengeklappten Zeitungskioske lungerten, schattenhafte Kästen auf Rädern, kreuz und quer über die Rambla verteilt, und kurz vor der Plaza de Colon, vor einem hell erleuchteten Sexshop jenseits des Fahrwegs, standen, zusammengedrängt wie wärmesuchende Tiere, mehrere Prostituierte im Kreis beieinander, von denen mir eine besonders ins Auge fiel, obwohl ich sie nur von hinten sah: Sie war blond, hochgewachsen, trug ein knappes, blaues, mit Hunderten von Silbersternchen übersätes Pelzjäckchen und einen ebenso blauen Rock, unter dem wohlgeformte und durch die Pfennigabsätze und die schwarzen Strumpfnähte noch länger wirkende Beine zum Vorschein kamen.
    Die Frauen bemerkten mich erst, als ich mich, sie weiträumig umkreisend, in den Sexshop schlich, und ich erinnere mich deutlich, wie abwegig, ja krankhaft es mir erschien, dass ich an diesen lebendigen Geschöpfen vorbei, hin zum Toten, zum Fleischlosen strebte. An meinen kurzen Aufenthalt in der Videokabine erinnere ich mich vermutlich nur, weil ich beim Durchschalten der Programme tatsächlich auf etwas Besonderes, Abweichendes, jedenfalls niemals Gesehenes stieß, nämlich auf einen Film, in dem sich zwei Frauen in bunten Strapsen am Gemächt eines – ja, was war es eigentlich? – Esels oder Maultiers zu schaffen machten. Dann brach der Film ab, ohne dass ich eine Münze nachwarf.
    Ich weiß noch, dass ich eine Weile in der Kabine sitzen blieb. Meine Fußsohlen brannten, aus einer Nachbarkabine drang mit gedämpftem Stöhnen versetzte Allerweltsmusik. Als ich den Sexshop verließ, hatten die Frauen, die vorher im Kreis zusammengestanden waren, sich auf der Straße verteilt, die Frau mit dem blauen Pelzjäckchen und den langen schönen Beinen stand jetzt allein vor dem Shop, diesmal mir zugewandt.
    Ich sah sie an und sah in das Gesicht einer Siebzigjährigen.

7
    In der Nacht schlief ich schlecht: vor Kälte. Das Bett war auf eine Art bezogen, die ich heute als südländisch bezeichnen würde. Es gab nur eine dünne und, wie mir schien, schmuddelige Decke, die in ein großes Laken eingeschlagen war. Ich erinnere mich, dass ich noch im Dämmerschlaf darum besorgt war, ja nicht mit der Schmuddeldecke in Berührung zu kommen – anstatt aufzustehen und meinen Schlafsack aus dem Rucksack zu holen.
    Ich erwachte viel zu früh mit vor Kälte starren Gliedern.
    In dem Hotel – eigentlich: hostal – gab es kein Frühstück, aber der blasse Portier, der am Abend zuvor weder besonders freundlich noch besonders gesprächig gewesen war, empfahl mir, plötzlich überschwänglich und wortreich, ein bestimmtes Lokal, ließ mich die (äußerst simple) Wegbeschreibung sogar wiederholen und rief mir noch mehrmals den Namen des Lokals hinterher, sodass es mir schäbig vorgekommen wäre, seine Empfehlung nicht anzunehmen.
    Das Café lag am Südende der Rambla, unmittelbar vor der Plaza de Colon , dort, wo die Straße sich, einer Flussmündung gleich, zu verbreitern beginnt. Ich war, glaube ich, der erste Gast, obgleich es im Inneren schon vor Betriebsamkeit summte. Zwei Barmänner, von denen einer die Gläser polierte, der andere die
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