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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Autoren: Donna Leon
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bleibt, sind die guten Erinnerungen an sie«, ergänzte Paola. Ja, genauso war es.

2
    F reunde und Verwandte umringten sie, während das Boot am imbarcadero anlegte, doch Brunetti konzentrierte sich auf das nahende Ufer und dachte, um sich abzulenken, an Sergios Haus, das komplett renoviert und erst vor einem halben Jahr fertig geworden war. Wenn alte Menschen sich am liebsten über ihre Gesundheit austauschten und die Männer beim Thema Sport zueinanderfanden, dann waren Immobiliengespräche der soziale Kitt, der die Venezianer aller Schichten zusammenhielt. Nichts faszinierte sie mehr als die Gerüchte über Preise, die verlangt und gezahlt, große Geschäfte, die gemacht oder in den Sand gesetzt wurden; stundenlang konnten sie Wohnflächen berechnen und über Vorbesitzer oder jene unfähigen Bürokraten herziehen, die über Renovierungen und Modernisierungen zu entscheiden hatten. Brunetti glaubte, dass an venezianischen Abendbrottischen nur über Speisen und Getränke noch ausgiebiger debattiert wurde. Sollte dies der Ersatz für die einstigen Kriegsgeschichten sein? Waren Raffinesse und Geschäftstüchtigkeit beim An- und Verkauf von Häusern und Wohnungen an die Stelle von Mut, Tapferkeit und Patriotismus getreten? So schmachvoll, wie der einzige Krieg, an dem sich das Land seit Jahrzehnten beteiligt hatte, gescheitert war, taten die Leute vielleicht besser daran, sich mit Immobilien zu beschäftigen.
    Die Uhr an den Fondamenta Nuove zeigte erst kurz nach elf. Der Vormittag war seiner Mutter stets die liebste Tageszeit gewesen: Wahrscheinlich hatte Brunetti seine Morgenfröhlichkeit, die Paola oft an den Rand der Verzweiflung trieb, von ihr geerbt. Passagiere gingen von Bord, andere stiegen zu, und dann ging es zügig weiter nach Madonna dell'Orto, wo die Familie Brunetti und ihre Freunde ausstiegen und, links an der Kirche vorbei, stadteinwärts zogen.
    Am Kanal wandten sie sich nach links, dann über die Brücke nach rechts, und schon waren sie am Ziel. Sergio öffnete die Tür, und im Gänsemarsch stieg man leise die Treppe hinauf und betrat die Wohnung. Während Paola gleich in der Küche verschwand, um Gloria ihre Hilfe anzubieten, trat Brunetti ans Fenster und sah hinüber zur Kirche. Ein Mauervorsprung verdeckte einen Teil der Fassade, so dass er nur die sechs Apostel auf der linken Seite sehen konnte. Die Backsteinkuppel des Glockenturms hatte ihn immer an einen panettone erinnert, so auch jetzt.
    Die Gäste hinter ihm tauten allmählich auf; Brunetti, der ihren Gesprächen nur mit halbem Ohr folgte, war erleichtert, dass sie nicht aus falsch verstandener Trauer in gedämpftes Flüstern verfielen. Er blieb mit dem Rücken zum Raum stehen und behielt weiter die Kirche im Auge. Er war nicht in der Stadt gewesen in jener Nacht, als jemand sich still und heimlich hineingeschlichen und die Bellini-Madonna vom Altar der linken Seitenkapelle entwendet hatte. über zehn Jahre war das jetzt her; damals waren Kunstfahnder aus Rom angereist, aber Brunetti und seine Familie hatten ihre Ferien auf Sizilien nicht unterbrochen. Als sie schließlich nach Hause kamen, waren die Spezialisten schon wieder abgezogen, und die Zeitungen hatten das loren. Und das war das Ende vom Lied. Weiter geschah nichts: Das Bildnis hätte sich genauso gut in Luft aufgelöst haben können.
    Die Stimmen hinter ihm nahmen eine andere Färbung an, was Brunetti veranlasste, sich wieder dem Raum zuzuwenden. Gloria, Paola und Chiara waren, jede mit einem Tablett, aus der Küche gekommen; die beiden Frauen brachten Tassen und Chiara drei Schalen mit selbstgebackenen Plätzchen. Diese schlichte kleine Feier war für Freunde gedacht, die ihren Kaffee trinken und bald danach aufbrechen würden: Brunetti wusste das und war doch bekümmert über so ein mickriges Gedenken für ein Leben, in dem Essen und Trinken und herzliche Gastlichkeit eine zentrale Rolle gespielt hatten.
    Sergio kam mit drei Flaschen Prosecco aus der Küche. »Vor dem Kaffee sollten wir, denke ich, Lebewohl sagen«, meinte er.
    Die Tabletts wurden auf dem niedrigen Couchtisch abgestellt, und Gloria, Paola und Chiara verschwanden wieder in der Küche. Als sie wenige Minuten später zurückkehrten, sprossen zwischen den Fingern ihrer erhobenen Hände je drei Proseccokelche.
    Kaum dass Sergio mit einem »Plopp« den ersten Korken knallen ließ, wandelte sich wie durch Zauberei die Stimmung im Raum. Er schenkte die bereitgestellten Gläser voll, und während in den ersten der
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