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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Autoren: Donna Leon
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hatte, sondern ein ehemaliger Klassenkamerad von Sergio, früher in engem Kontakt mit der Familie, heute Kaplan im Ospedale Civile. Neben ihm hielt ein Mann, der mindestens so alt war wie Brunettis Mutter, ein Messinggefäß in die Höhe, dem der Priester den tropfenden Weihwasserwedel entnahm. Unter leisen Gebeten, die nur die unmittelbar neben ihm Stehenden hören konnten, umschritt er den Sarg und besprengte ihn mit dem geweihten Wasser. Dabei musste er bei jedem Schritt darauf achten, nicht auf einen der Kränze zu treten, die zu beiden Seiten des Grabes an Holzgestellen lehnten und deren sorgfältig drapierte Schleifen in goldenen Lettern liebendes Gedenken versprachen.
    Als Brunetti am Priester vorbei wieder nach dem Baum sah, fegte abermals ein Windstoß über die Mauer und riß die rosa Blüten ab, die in einer Wolke durch die Luft tanzten und sich, langsam zur Erde niedersinkend, wie ein rosafarbener Kranz um den Stamm legten. Irgendwo zwischen den letzten Blüten in der Krone begann ein Vogel zu singen.
    Brunetti machte sich von Paola los und wischte sich mit dem Ärmelfutter seiner Jacke die Augen. Als er die Lider öffnete, stieg abermals eine Blütenwolke aus dem Baum empor, die im Spiegel seiner Tränen wuchs und wuchs, bis der Horizont in rosafarbenem Dunst verschwamm.
    Paola ergriff seine Hand, drückte sie und hinterließ ein hellblaues Taschentuch. Brunetti schneuzte sich, betupfte seine Augen, zerknüllte das Taschentuch in der Rechten und stopfte es in die Jackentasche. Chiara kam an seine andere Seite, nahm seine Hand und hielt sie fest, während die Bibelworte gesprochen wurden, der Wind die Gebete mit sich forttrug und die Träger vortraten, um den Sarg an Tauen in die ausgehobene Grube hinabzulassen. Für einen Moment verlor Brunetti völlig die Orientierung und sah sich nach dem alten Mann aus Dolo um, aber nicht er, sondern die Totengräber ließen die ersten Schaufeln Erde auf den Sarg niederprasseln. Anfangs vernahm man ein hohles Echo, doch das legte sich, sobald eine dünne Schicht das Holz bedeckte. Da es in den letzten Wochen viel geregnet hatte, war die Erde schwer vor Nässe; dumpf polterten die Klumpen in die Tiefe. Wieder und wieder.
    Und dann warf auf der anderen Seite jemand - vielleicht Sergios Sohn - einen Strauß Narzissen auf das Erdreich unten in der Grube und wandte sich zum Gehen. Auf ihre Schaufeln gestützt, hielten die Männer in ihrer Arbeit inne, was die Leute am Grab als Anlass zum Aufbruch nahmen. Während man sich über den frischen grünen Rasen zurück zum Ausgang und dem Vaporetto-Anleger begab, geriet die Unterhaltung immer wieder ins Stocken, da jeder sich bemühte, das Richtige, und wenn er das nicht traf, wenigstens irgendetwas zu sagen. Ein Vaporetto der Linie 42 kam, und alle gingen an Bord. Brunetti und Paola blieben an Deck. Doch im Schatten des Bootsdachs wurde es rasch empfindlich kühl. Der leichte Wind, der innerhalb der Friedhofsmauern geweht hatte, frischte hier draußen so kräftig auf, dass Brunetti den Kopf einzog und die Lider zusammenkniff. Paola schmiegte sich an ihn, und er legte ihr mit geschlossenen Augen den Arm um die Schultern.
    Ein leicht verändertes Motorengeräusch zeigte an, dass das Boot sein Tempo drosselte. Sie näherten sich den Fondamenta Nuove, und während das Vaporetto in weitem Bogen den Anlegeplatz ansteuerte, schien die Sonne auf Brunettis Rücken und wärmte ihn. Er hob den Kopf, öffnete die Augen und blickte auf die geschlossene Häuserfront, hinter der hie und da ein Glockenturm aufragte.
    »Jetzt ist es bald überstanden«, hörte er Paola sagen. »Nur noch zu Sergio, dann das Mittagessen, und danach können wir einen Spaziergang machen.«
    Er nickte. Ein kleiner Empfang im Haus seines Bruders, um den engsten Freunden für ihr Kommen zu danken, und dann würde die Familie miteinander zum Essen gehen. Anschließend konnten sie zu zweit - oder, falls die Kinder mitwollten, zu viert - spazierengehen: vielleicht entlang der Zattere oder in den Giardini, wo die Sonne schien? Hauptsache, es wurde ein langer Spaziergang, der ihm Gelegenheit gab, die Orte aufzusuchen, die ihn an seine Mutter erinnerten, in einem ihrer Lieblingsläden eine Kleinigkeit zu kaufen und vielleicht in der Frari-Kirche eine Kerze vor der Himmelfahrt Mariens anzuzünden, einem Gemälde, das ihr immer besonders lieb gewesen war.
    Das Boot erreichte den Anleger. »Was bleibt, sind nur ...«, begann er und stockte, weil er nicht weiterwusste.
    »Was
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