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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Autoren: Donna Leon
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Prosecco aufhörte zu perlen, öffnete er nacheinander die zweite und dann die dritte Flasche und füllte mehr Gläser, als Gäste da waren. Alle drängten sich um den Tisch, nahmen sich ein Glas und hielten es erwartungsvoll empor.
    Sergio sah zu Brunetti hinüber, doch der erhob sein Glas und nickte dem älteren Bruder zu, zum Zeichen, dass für den Trinkspruch nun er als Familienoberhaupt zuständig sei.
    Daraufhin hob Sergio sein Glas, und schlagartig wurde es still im Zimmer. Er reckte den Arm noch höher und sagte mit einem Blick in die Runde: »Auf Amelia Davanzo Brunetti und auf uns, die wir ihr für immer in Liebe verbunden sind.« Er trank sein Glas zur Hälfte aus. Zwei oder drei der Anwesenden wiederholten seinen Toast mit leiser Stimme, und dann tranken alle. Als man die Gläser abgesetzt hatte, war wieder eine gewisse Leichtigkeit spürbar. Und während das Gespräch sich ungezwungen den Themen des Lebens zuwandte, schlich sich auch das Futur wieder ein.
    Einige Gläser blieben halbvoll stehen, und die Gäste gingen zum Kaffee über; man kostete von den Plätzchen und rüstete sich dann allmählich zum Aufbruch. An der Tür wechselte jeder noch ein paar Worte mit den Brüdern und küsste sie zum Abschied.
    Zwanzig Minuten später waren Sergio und Guido mit ihren Frauen und Kindern allein. Sergio sagte mit einem Blick auf seine Uhr: »Ich habe für uns einen Tisch reserviert. Ich schlage vor, wir lassen das hier alles so stehen und gehen essen.«
    Brunetti leerte sein Glas und stellte es neben die vollen, die unberührt in einem Kreis auf dem Tisch standen. Er wollte Sergio dafür danken, dass er die richtigen Worte gefunden hatte, ohne pathetisch zu werden, doch er wusste nicht, wie. Er hatte sich schon zum Gehen gewandt, als er noch einmal kehrtmachte und seinen Bruder umarmte. Dann löste er sich von ihm und ging zur Tür hinaus. Still stieg er die Treppe hinunter und wartete draußen, in der Sonne, auf die übrigen Brunettis.

3
    D a die Beerdigung auf einen Samstag fiel, brauchte sich keiner für den nächsten Tag am Arbeitsplatz oder in der Schule beurlauben zu lassen. Bis zum Montagmorgen hatte sich der gewohnte Rhythmus wieder eingespielt, und alle brachen zur üblichen Zeit auf - alle bis auf Paola, für die der Montag zu den unifreien Tagen gehörte, wo sie daheim am Schreibtisch arbeiten konnte. Brunetti ließ sie schlafen. Als er aus dem Haus trat, empfing ihn ein warmer, sonniger Tag; nur die Luft war immer noch ein wenig feucht. Er machte sich auf den Weg zum Rialto, um als Erstes eine Zeitung zu kaufen.
    Aufatmend stellte er fest, dass die Trauer nicht allzu schwer auf ihm lastete. Seine Mutter war einem Zustand entkommen, der ihr, hätte sie ihn bewusst erlebt, unerträglich gewesen wäre, und die Erleichterung darüber gab ihm Frieden.
    Die Stände mit Schals, T-Shirts und Touristenkitsch, an denen er vorbeikam, hatten alle schon geöffnet, aber er war so in Gedanken, dass er die knalligen Farben gar nicht bemerkte. Er nickte ein oder zwei Bekannten zu, jedoch ohne seinen Schritt zu verlangsamen, damit ja niemand auf die Idee kam, stehenzubleiben und ihn anzusprechen. Wie jedes Mal warf er, bevor er sich zur Brücke wandte, im Vorbeigehen einen Blick zur Uhr hinüber. Pieros Laden zu seiner Rechten war der einzige, der noch Lebensmittel verkaufte, alle anderen hatten auf irgendwelchen wertlosen Plunder umgestellt.
    Auf einmal stieg ihm ein so durchdringender Gestank nach Chemikalien und Farbstoffen in die Nase, als hätte man ihn nach Marghera verfrachtet oder das Fabrikviertel hierher versetzt. Der scharfe, widerliche Geruch ätzte seine Schleimhäute und trieb ihm Tränen in die Augen. Das Seifengeschäft gab es schon eine ganze Weile, aber bisher hatten ihn nur die künstlichen Farben gestört; heute war es der Gestank. Erwartete man allen Ernstes, dass die Leute sich damit waschen würden?
    Auf dem Weg zum Campo San Giacomo bemerkte er an Ständen, die früher frisches Obst vertrieben hatten, abgepackte Pasta, in Flaschen abgefüllten aceto balsamico und getrocknete Früchte, die ihn mit ihren grellen Farben ankreischten und ebenso in die Flucht schlugen wie zuvor die beißenden Gerüche. Gianni und Laura hatten ihren Obststand schon vor Jahren aufgegeben, genau wie der langhaarige Typ und seine Frau, die allerdings an Inder oder Singhalesen verkauft hatten. Wie lange mochte es noch dauern, bis der Obst- und Gemüsemarkt komplett verschwand und die Venezianer, wie die übrige Welt,
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