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Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti

Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti

Titel: Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
Autoren: Donna Leon
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wiedererkennen würde. Das würde für eine Verhaftung und vielleicht auch für eine Verurteilung reichen. Dies war also Brunettis Vorhaben für den Vormittag.
    Irgendwo in der Wohnung ging eine Tür auf, und sie hörten Raffis unverkennbar schwere, schlaftrunkene Schritte in Richtung Bad.
    Brunetti nahm sich noch eine Brioche, überrascht, daß er um diese Zeit schon hungrig war. Normalerweise hatte er für Frühstück wenig Verständnis und noch weniger Sympathie. Während sie beide auf weitere Lebenszeichen aus dem hinteren Teil der Wohnung warteten, beschäftigten sie sich angelegentlich mit ihrem Kaffee und ihren Brioches.
    Brunetti war gerade fertig, als eine andere Tür aufging. Kurz darauf kam Chiara in die Küche getorkelt, eine Hand an den Augen, als müsse sie ihnen beim komplizierten Vorgang des Öffnens helfen. Wortlos schlurfte sie barfuß durch die Küche und setzte sich auf Brunettis Schoß, schlang einen Arm um seinen Hals und legte den Kopf an seine Schulter.
    Brunetti legte beide Arme um sie und küßte sie aufs Haar. »Gehst du heute so in die Schule?« fragte er in völlig normalem Ton, wobei er das Muster auf ihrem Pyjama eingehend studierte. »Hübsch. Deine Klassenkameradinnen werden begeistert sein. Luftballons. Sehr geschmackvolle Ballons. Ich würde sogar fast sagen, schick. Der neueste Schrei, um den dich alle Zwölfjährigen beneiden werden.«
    Paola senkte den Kopf und widmete sich wieder ihrer Zeitschrift.
    Chiara drehte sich ein bißchen von ihm weg, um ihren Pyjama anzusehen. Bevor sie etwas sagen konnte, kam Raffi in die Küche, bückte sich, um seiner Mutter einen Kuß zu geben, und ging zum Herd, um sich aus der großen Moka Express eine Tasse Kaffee einzuschenken. Er tat heiße Milch dazu, kam an den Tisch, setzte sich und sagte: »Du hast doch hoffentlich nichts dagegen, daß ich deinen Rasierapparat benutzt habe, papà?«
    »Wozu denn? Um dir die Fingernägel zu schneiden?« fragte Chiara. »In deinem Gesicht wächst jedenfalls nichts, wofür man einen Rasierapparat braucht.« Nach diesen Worten zog sie sich schnell aus Raffis Reichweite zurück und kuschelte sich fester an Brunetti, der sie durch den dicken Flanellstoff ihres Pyjamas tadelnd zwickte.
    Raffi beugte sich zwar drohend über den Tisch, aber er war nicht richtig bei der Sache, und seine Hand hielt über den Brioches inne und nahm dann eine. »Wo kommen die denn her?« fragte er, und als niemand antwortete, erkundigte er sich bei Brunetti: »Warst du schon fort?«
    Brunetti nickte und ließ Chiara los, schlüpfte unter ihr weg und stand auf.
    »Hast du auch die Zeitungen mitgebracht?« fragte Raffi mit vollem Mund.
    »Nein«, antwortete Brunetti, schon auf dem Weg zur Tür.
    »Wie denn das?«
    »Vergessen«, log Brunetti seinen einzigen Sohn an, ging in den Flur, zog seinen Mantel über und verließ die Wohnung.
    Draußen schlug er die Richtung zum Rialto ein und ging den seit Jahren vertrauten Weg zur Questura. An den meisten Morgen sah er auf diesem Weg irgend etwas, woran sich sein Herz erfreute: eine besonders absurde Schlagzeile auf einer der Zeitungen des Landes, einen neuen Rechtschreibfehler auf den billigen Sweatshirts, die man in den Buden auf beiden Seiten des Marktes feilbot, das erste Erscheinen einer lang vermißten Gemüse- oder Obstsorte. Aber heute morgen sah er wenig und bemerkte gar nichts, während er über den Markt und über die Brücke ging und in die erste der vielen schmalen Gassen einbog, die ihn zur Questura und zu seiner Arbeit führen würden.
    Die meiste Zeit, die er für diesen Gang brauchte, war er mit den Gedanken bei Ruberti und Bellini und fragte sich, ob ihre Loyalität gegenüber einem Vorgesetzten, der sie stets mit einer gewissen Menschlichkeit behandelt hatte, ein ausreichendes Motiv für sie war, um ihren Treueid gegenüber dem Staat zu vergessen. Wahrscheinlich ja, aber als ihm aufging, wie verdächtig nah er sich bei der Werteskala bewegte, die Paola zu ihrem Tun veranlaßt hatte, zwang er seine Gedanken in eine andere Richtung und wandte sie der Heimsuchung zu, die ihm heute als erstes bevorstand, nämlich der neunten dieser ›convocations du personnel‹, die sein unmittelbarer Vorgesetzter, Vice-Questore Giuseppe Patta, in der Questura eingeführt hatte, nachdem er vor kurzem auf einem Lehrgang bei Interpol in Lyon gewesen war.
    Dort in Lyon hatte Patta sich den Elementen der verschiedenen Nationen ausgesetzt, die jetzt das vereinte Europa bildeten: Champagner und
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