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Brunetti 07 - Nobiltà

Brunetti 07 - Nobiltà

Titel: Brunetti 07 - Nobiltà
Autoren: Donna Leon
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mit dem Zeigefinger der rechten um. Die Gravur war so abgeschliffen, daß er genauer hinsehen mußte, bevor er etwas erkannte: das kunstvolle Flachrelief eines aufgerichteten Adlers, der in seiner linken Klaue eine Fahne, in der rechten ein Schwert hielt. »Ist das ein... mir fällt das italienische Wort nicht ein«, sagte Litfin, während er auf den Ring blickte.
    »Stemma«, half Bortot aus.
    »Si, stemma«, wiederholte Litfin, dann fragte er: »Kennen Sie es?«
    Bortot nickte.
    »Und?«
    »Das Wappen der Familie Lorenzoni.« Litfin schüttelte den Kopf. Er hatte den Namen noch nie gehört. »Stammt sie aus der Gegend?«
    Diesmal schüttelte Bortot den Kopf.
    Als er den Ring zurückgab, fragte Litfin: »Und woher kommt sie?«
    »Aus Venedig.«

3
    Nicht nur Doktor Bortot, sondern beinah jedem im Veneto war der Name Lorenzoni ein Begriff. Studenten der Geschichte hätten sich an den Conte dieses Namens erinnert, der 1204 den fast erblindeten Dogen Dandolo bei der Einnahme von Konstantinopel begleitete; der Legende nach war es Lorenzoni, der dem alten Mann sein Schwert gab, als sie über die Stadtmauer stiegen. Musiker würden sich entsinnen, daß der Hauptsponsor des ersten venezianischen Opernhauses diesen Namen trug. Bibliophile kannten Lorenzoni als den Namen jenes Mannes, der Aldus Manutius 1495 das Geld für die erste Druckerpresse der Stadt lieh. Aber das ist Wissen von Fachleuten und Historikern, Personen, die Gründe haben, den Ruhm der Stadt und der Familie im Gedächtnis zu behalten. Gewöhnliche Venezianer kennen ihn als den Namen des Mannes, der 1944 der SS die Gelegenheit gab, an die Namen und Adressen der in der Stadt lebenden Juden zu kommen.
    Von den 256 venezianischen Juden überlebten acht den Krieg. Doch das ist nur eine Sichtweise auf die Tatsachen und die Zahlen. Schlimmer ausgedrückt bedeutet es, daß 248 Menschen, italienische Bürger und Einwohner der einstigen Serenissima, gewaltsam aus ihren Häusern geholt und schließlich ermordet wurden.
    Italiener denken pragmatisch, und so meinten viele, wenn nicht Pietro Lorenzoni, der Vater des derzeitigen Conte, das Versteck des Oberhauptes der jüdischen Gemeinde an die SS verraten hätte, dann eben ein anderer. Es wurde auch gesagt, er müsse dazu genötigt worden sein, denn immerhin hatten sich seit Kriegsende die Mitglieder der verschiedenen Zweige der Familie eindeutig dem Wohl der Stadt verschrieben, nicht nur durch mannigfachen großzügigen Einsatz für öffentliche und private wohltätige Einrichtungen, sondern auch durch ihr Wirken in öffentlichen Ämtern - einmal sogar dem des Bürgermeisters, wenn auch nur für ein halbes Jahr -und hatten sich in vielerlei Eigenschaften, wie es so schön heißt, um die Stadt verdient gemacht. Ein Lorenzoni war Rektor der Universität gewesen,, ein anderer hatte in den Sechzigern einige Jahre lang die Biennale organisiert, und wieder ein anderer hatte seine Sammlung islamischer Miniaturen dem Museo Correr vermacht.
    Und selbst wer von alledem nichts wußte, erinnerte sich meist doch an den Namen des jungen Mannes, der vor zwei Jahren entfuhrt worden war, von zwei maskierten Männern vor der Villa der Familie in Treviso aus dem Auto gezerrt, in dem er mit seiner Freundin saß. Das Mädchen hatte statt der Familie zuerst die Polizei verständigt, und so waren die Konten der Lorenzonis sofort gesperrt worden, noch ehe die Familie von dem Verbrechen erfuhr. Die erste Lösegeldforderung lautete auf sieben Milliarden Lire, und es wurde damals viel darüber spekuliert, ob die Lorenzonis eine solche Summe auftreiben, könnten. Im zweiten Brief der Entführer, der drei Tage nach dem ersten ankam, waren es dann noch fünf Milliarden.
    Aber inzwischen hatten die Ordnungsmächte, auch wenn sie bei der Suche nach den Tätern noch keine erkennbaren Fortschritte gemacht hatten, die bei Entführungen üblichen Maßnahmen ergriffen, um die Familie daran zu hindern, sich Geld zu leihen oder es aus dem Ausland zu transferieren, so daß auch die zweite Forderung unerfüllt blieb. Conte Ludovico, der Vater des entführten Jungen, wandte sich ans staatliche Fernsehen und bat die Täter, seinen Sohn freizulassen. Er sagte, er sei bereit, sich ihnen anstelle seines Sohnes auszuliefern, konnte in seinem Schmerz aber nicht erklären, wie das zu machen wäre.
    Sein Aufruf blieb unbeantwortet; eine dritte Lösegeldforderung gab es nicht. Das war zwei Jahre her, und seitdem hatte es von dem jungen Roberte kein Lebenszeichen
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