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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen
Autoren: Donna Leon
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Mühlstein an seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenket würde.‹«
    »Wo hast du denn das her?« fragte Brunetti.
    »Matthäus. Kapitel achtzehn, Vers sechs.«
    Brunetti meinte kopfschüttelnd: »Es ist schon merkwürdig, ausgerechnet dich aus der Bibel zitieren zu hören.«
    »Dazu soll sogar der Teufel imstande sein«, antwortete sie, jetzt aber zum erstenmal wieder mit einem Lächeln, mit dem sie das ganze Zimmer erhellte.
    »Gut«, pflichtete Brunetti ihr bei. »Ich hoffe, dein Vater hat die Macht, etwas zu tun.« Er rechnete schon halb damit, daß sie antworten würde, es gebe nichts, was ihr Vater nicht tun könne, und überraschte sich selbst mit der Erkenntnis, daß zumindest er dies fast glaubte.
    Als hätte die Erwähnung ihres Vaters sie daran erinnert, sagte Paola: »Meine Mutter hat angerufen und läßt dir sagen, daß es ein Banker ist.«
    Brunetti verstand im Moment nicht, wovon die Rede war, und fragte: »Wer ist ein Banker?«
    »Contessa Crivonis Liebhaber.« Als sie sah, daß Brunetti jetzt mitkam, fuhr sie fort: »Sie hat sich mit einer ihrer Bridge-Damen unterhalten. Die hat gesagt, daß sie die Affäre mit ihm schon seit Jahren hat. Und offenbar wußte ihr Mann davon.«
    »Er wußte davon?« fragte Brunetti offen erstaunt.
    »Er bevorzugte Knaben.«
    »Glaubst du das?« fragte er.
    »Wie es aussieht, diente ihr Mann ihnen als Tarnung. Da hat wohl keiner von beiden seinen Tod gewünscht.«
    Brunetti schüttelte den Kopf, aber er glaubte es. Er erzählte Paola von Pattas Wutausbruch und seinem Befehl, den Polizeischutz von Maria Testa abzuziehen. Er versuchte erst gar nicht, seine Gewißheit zu verbergen, daß Padre Pio und die hinter ihm stehenden Mächte die eigentliche Quelle dieses Befehls waren.
    »Was machst du nun?« fragte Paola, als er fertig war.
    »Ich habe schon mit Vianello gesprochen. Er hat einen Freund, der als Pfleger im Krankenhaus arbeitet, und der hat sich bereit erklärt, tagsüber ein Auge auf sie zu haben.«
    »Das ist nicht viel, oder?« meinte sie. »Und nachts?«
    »Vianello hat sich erboten - ich habe ihn nicht gefragt, Paola, er hat es von sich aus angeboten -, bis Mitternacht bei ihr zu sein.«
    »Und das heißt, du bist von Mitternacht bis um acht bei ihr?«
    Brunetti nickte.
    »Wie lange soll das gehen?«
    Brunetti hob die Schultern. »Bis die sich entschließen, etwas zu unternehmen, denke ich.«
    »Und was meinst du, wie lange das dauern wird?«
    »Hängt davon ab, wieviel Angst sie haben. Oder wieviel sie ihrer Meinung nach weiß.«
    »Du glaubst, daß es Padre Pio ist?«
    Brunetti hatte es immer zu vermeiden versucht, den Namen desjenigen zu nennen, den er eines Verbrechens verdächtigte, und so hielt er es auch diesmal, aber Paola konnte die Antwort aus seinem Schweigen ablesen.
    Sie stand auf. »Wenn du schon die ganze Nacht aufbleiben sollst, dann versuch doch wenigstens jetzt etwas zu schlafen.«
    »›Eine Frau ist ihres Mannes reichster Schatz, seine helfende Hand, eine feste Stütze. Ein Weinberg ohne Hecke wird überwuchert werden; ein Mann ohne Frau wird zu einem hilflosen Wanderer‹«, zitierte er, froh, sie wenigstens einmal in ihrem eigenen Lieblingsspiel schlagen zu können.
    Sie konnte ihre Überraschung sowenig verbergen wie ihr Vergnügen. »Es stimmt also?« fragte sie.
    »Was?«
    »Daß der Teufel wirklich aus frommen Schriften zu zitieren versteht.«
    Mitten in der Nacht quälte Brunetti sich wieder aus dem warmen Kokon seines Bettes und zog sich zu den Geräuschen des Regens an, der noch immer auf die Stadt niederrauschte. Paola schlug kurz die Augen auf, hauchte einen Kuß in seine Richtung und war gleich darauf wieder eingeschlafen. Diesmal dachte er an seine Gummistiefel, verzichtete aber auf einen zweiten Schirm für Vianello.
    Im Krankenhaus gingen sie wieder auf den Flur hinaus, um miteinander zu reden, aber viel zu sagen gab es nicht. Tenente Scarpa hatte nachmittags mit Vianello gesprochen und Pattas Befehl bezüglich des Personals weitergegeben. Wie Patta hatte auch er nichts dazu gesagt, was die Beamten in ihrer Freizeit tun dürften oder nicht, was Vianello dazu ermuntert hatte, mit Gravini, Pucetti und einem reumütigen Alvise zu sprechen, und sie alle hatten sich aus freien Stücken erboten, die Tagwachen zu übernehmen. Pucetti wollte Brunetti sogar schon um sechs Uhr morgens ablösen.
    »Sogar Alvise?« fragte Brunetti.
    »Sogar Alvise«, antwortete Vianello. »Daß er dumm ist, muß nicht heißen, daß er
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