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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale
Autoren: Donna Leon
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umgebracht?«, fragte sie und ihr Erstaunen schien echt zu sein. Oder einstudiert.
    »Entschuldigen Sie, Signora, aber ich kann Ihnen im Moment keine Antworten geben. Ist jemand hier, der Sie nach Hause bringen kann?« Hinter sich hörten sie plötzlich Beifall losbrechen, dem dann Welle auf Welle folgte. Ihr war nicht anzumerken, ob sie es hörte, oder ob sie seine Frage gehört hatte, sie starrte ihn nur an und bewegte lautlos die Lippen.
    »Ist jemand hier im Theater, der Sie nach Hause bringen kann, Signora?«
    Sie nickte, hatte ihn endlich verstanden. »Ja, ja«, sagte sie und dann mit etwas sanfterer Stimme: »Ich muss mich hinsetzen.« Er war schon vorbereitet auf den plötzlichen Realitätsschub, der auf den ersten Schock folgt. Der war es, der die Leute umwarf.
    Er schob seinen Arm unter ihren und führte sie in den offenen Bereich hinter der Bühne. Sie war zwar groß, dabei aber so schmal, dass ihr Gewicht leicht zu stützen war. Der einzige geeignete Platz war eine kleine Nische linkerhand, voller Schaltbretter und anderer Utensilien, die ihm nichts sagten. Er half ihr auf den Stuhl davor und winkte einem seiner uniformierten Polizisten, der gerade aus den Kulissen kam, wo es jetzt von kostümierten Mitwirkenden wimmelte, die sich verbeugten und, sobald der Vorhang geschlossen war, wieder zu Gruppen zusammenfanden.
    »Gehen Sie in die Bar runter und holen Sie ein Glas Cognac und ein Glas Wasser«, wies er den Polizisten an.
    Signora Wellauer saß indessen auf dem einfachen Holzstuhl mit der geraden Lehne, ihre Hände umklammerten den Sitz rechts und links und sie starrte auf den Boden. Sie schüttelte den Kopf, verneinend, oder als Antwort auf ein inneres Gespräch.
    »Signora - Signora, sind Ihre Freunde hier im Theater?«
    Sie beachtete ihn nicht und setzte ihr inneres Gespräch fort.
    »Signora«, wiederholte er und legte ihr diesmal dabei die Hand auf die Schulter. »Ihre Freunde, sind sie hier?«
    »Welti«, sagte sie, ohne aufzusehen. »Wir haben uns nach der Vorstellung hinter der Bühne verabredet.«
    Der Polizist kam mit zwei Gläsern zurück. Brunetti nahm das kleinere und gab es ihr. »Trinken Sie das, Signora«, sagte er. Sie trank abwesend zuerst den Cognac und anschließend das Wasser, als sei kein Unterschied zwischen beidem.
    Brunetti stellte die Gläser beiseite.
    »Wann haben Sie ihn gesehen, Signora?«
    »Wie bitte?«
    »Wann Sie ihn gesehen haben.«
    »Helmut?«
    »Ja, Signora. Wann haben Sie ihn gesehen?«
    »Wir sind zusammen hergekommen. Heute Abend. Dann bin ich nach dem...« Ihre Stimme verebbte.
    »Was, Signora?«, fragte er.
    Sie betrachtete einen Augenblick sein Gesicht, bevor sie weiter sprach. »Nach dem zweiten Akt bin ich zu ihm gegangen. Aber wir haben nicht miteinander gesprochen. Ich kam zu spät. Er sagte nur - nein, er hat gar nichts gesagt.« Brunetti war nicht sicher, ob ihre Verwirrung dem Schock oder den Schwierigkeiten mit der Sprache zuzuschreiben war, aber ihm war klar, dass sie im Moment keine weiteren Fragen beantworten konnte.
    Hinter ihnen brach eine neue Welle von Applaus los, die anschwoll und abebbte, während die Sänger ihre Vorhänge absolvierten. Die Frau vor ihm senkte erneut den Kopf, obwohl sie ihr inneres Gespräch offenbar abgeschlossen hatte.
    Er wies den Polizisten an, bei ihr zu bleiben, bis ihre Freunde da wären und fügte hinzu, danach könne sie mit ihnen das Theater verlassen.
    Brunetti verabschiedete sich und ging zurück in die Garderobe des Maestros, wo der Arzt und der Fotograf gerade im Begriff waren zu gehen.
    »Gibt es noch etwas?«, wollte Rizzardi wissen, als er Brunetti hereinkommen sah.
    »Nein. Wann ist die Autopsie?«
    »Morgen.«
    »Machen Sie die?«
    Rizzardi überlegte kurz, bevor er antwortete. »Ich habe keinen Dienst, aber da ich die Leiche untersucht habe, wird der Staatsanwalt mich wahrscheinlich darum bitten.«
    »Wann?«
    »Gegen elf. Am frühen Nachmittag bin ich dann wohl fertig.«
    »Ich komme raus«, sagte Brunetti.
    »Das ist nicht nötig, Guido. Sie müssen nicht extra nach San Michele rauskommen. Sie können anrufen, oder ich rufe bei Ihnen im Büro an.«
    »Danke, Ettore, aber ich möchte kommen. Ich war schon lange nicht mehr draußen. Ich würde bei der Gelegenheit gern das Grab meines Vaters besuchen.«
    »Gut, wie Sie wollen«, meinte Rizzardi. Sie gaben sich die Hand und Rizzardi wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er stehen und fügte noch hinzu: »Er war der letzte der ganz Großen, Guido. Diesen
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