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Brüder Des Zorns

Brüder Des Zorns

Titel: Brüder Des Zorns
Autoren: John Maddox Roberts
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auf.
    Nachdem sie sich so gut wie möglich hergerichtet hatte, faltete sie ihre Decken zusammen. Zuerst wollte sie das Cabo satteln, falls eine Flucht vonnöten war, entschied sich aber schließlich dagegen. Es würde verdächtig aussehen, und sie wollte mit Ansa fortreiten oder gar nicht. Stattdessen zog sie einen kleinen Teppich aus den Packtaschen und trug ihm zum Zelt des Königspaares. Ein Dutzend Schritte vom Eingang entfernt breitete sie dicht vor dem Kreis der Wächter den Teppich aus. Er war dick, farbenprächtig und reich bestickt. Mit dem Gesicht zum Zelteingang setzte sie sich mit gekreuzten Beinen nieder und drapierte die Gewänder möglichst wirkungsvoll um ihren Körper. Dann faltete sie die Hände im Schoß und wartete.
    Sklaven betraten das Zelt. Einige trugen Schüsseln mit Wasser, andere Krüge und Handtücher. Ihnen folgten Sklaven mit Speisen und Getränken. Das morgendliche Ritual hatte begonnen. Fast ohne den Kopf zu bewegen, hielt Fyana nach hilfreichen Zeichen Ausschau. Am Rande des Platzes, unweit der zerstörten Gebäude, erblickte sie eine lange Reihe angebundener Cabos. Sie vermutete, dass sie der Königin und ihren Leibwächtern gehörten. Eines der Tiere erregte ihre Aufmerksamkeit. Die Hörner waren in ihr wohlbekannten Farben bemalt. Es war Ansas Cabo. Der erste Beweis seiner Anwesenheit brachte sie innerlich aus der Fassung.
    Nicht weit vom Zelteingang entfernt erblickte sie unter einem Baldachin etwas anderes. Dort lag ein Stapel Waffen, aus dem der obere Teil eines großen Bogens herausragte. Sie erkannte ihn sofort. Die Waffe gehörte Ansa. Daneben lagen der Köcher mit Pfeilen und das Langschwert. Er war hier. Vielleicht lebte er noch.
    Eine Frau verließ das Zelt. Sie runzelte verwirrt die Stirn. Anscheinend hatte man ihr von der Besucherin berichtet. Fyana richtete ihre Gedanken so stark auf sie, wie sie es nie zuvor bei einem Menschen getan hatte. Innerhalb weniger Augenblicke musste sie sich ein Urteil bilden, für das sie gerne mehrere Tage Zeit gehabt hätte. Sie musste wissen, wie sie mit der Frau umzugehen hatte. Als die Königin erstaunt die Augen aufriss, musterte Fyana ihre Aufmachung, die oftmals Schlüsse auf die betreffende Person zuließ. Im Gegensatz zu den Hoheiten anderer Länder kleidete sich Königin Larissa nicht in kostbare Gewänder, sondern lief bis auf einen Lendenschurz aus wunderschönem Stoff und ein wenig Schmuck fast nackt herum. Keineswegs lag es daran, dass sie eine Barbarin war. Sie hielt einfach nichts von prunkvoller Kleidung. Stattdessen war sie von ihrer Schönheit besessen. Und schön war sie wirklich, das musste Fyana zugeben. Selbst mit ihrer leicht besorgten Miene war sie die schönste und anmutigste Frau, die Fyana je gesehen hatte. Sie zwang sich, hinter diese Schönheit zu schauen.
    Dank ihres Wissens und ihrer Geschicklichkeit erkannte sie auf Anhieb mehr, als jeder gewöhnliche Sterbliche es vermocht hätte. Sie sah die ersten Anzeichen des Alters. Die Königin war noch zu weit entfernt, um Falten zu erkennen, aber Fyana wusste, dass sie vorhanden waren. Der matte Schimmer der Haut, die Haltung, die Bewegungen und das ein wenig stumpfe Haar verrieten ihr viel. Körperlich befand sich Larissa in hervorragendem Zustand, hatte aber ihre beste Zeit hinter sich. Der allmähliche Verfall hatte begonnen.
    Das alles erkannte Fyana, ehe Larissa auch nur einen Schritt tat. Jetzt musste sie die Erkenntnisse auf das Innenleben der Königin ausweiten. Der maßlos erstaunte Blick Larissas verwirrte sie. Abwarten. Die ersten Worte der Herrscherin würden sicher Aufschluss darüber geben.
    Die Königin war eitel und für ihre völlige Hingabe an den König bekannt. Wenn sie sich wegen ihres Alters sorgte, dann sorgte sie sich vielleicht auch über ihre Anziehungskraft auf ihren Gemahl. Der wahnsinnige Ehrgeiz, die Welt zu beherrschen, verschlang viel Zeit, und Zeit betrachtete Larissa als ihren Feind – die Zeit und das Alter. Vielleicht gab es hier eine Möglichkeit, diese Angst zu ihrem Vorteil zu nutzen. Noch immer starrte Larissa sie voller Staunen an, und hinter diesem Staunen lagen Furcht und Respekt.
    Anmutig erhob sich Fyana. Sie tat es auf eine Weise, die man sie von Kindheit an gelehrt hatte, ohne die Hände zu benutzen oder sich vorzubeugen. Sie erhob sich mit kerzengeradem Rücken und spannte nur die Muskeln der Oberschenkel an. Durch die weiten Gewänder sah es aus, als schwebe sie empor. Die Königin musterte sie aufmerksam, und aus
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