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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten
Autoren: Mika Bechtheim
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mir noch gar nicht gesagt, wie der Kranz für deine Mutter angekommen ist.«
    Cornelius sprach nicht gern von Viktoria, einer 28-jährigen, langbeinigen Schönheit, mit der er sechs Monate zusammen gewesen war und die ihn am vorletzten Wochenende verlassen hatte. Viktoria wollte abends keinem Achtjährigen Geschichten vorlesen und samstags schreiend auf dem Fußballplatz stehen, um seine Mannschaft anzufeuern. Sie wollte feiern, ausgehen, reisen, Spaß haben. Wer konnte es ihr verdenken? Mit 28 hatte ich bei stampfenden Technorhythmen auf der Loveparade in Berlin tagelang durchgemacht.
    »Mein Vater war sehr gerührt. Immerhin gab es nur fünf Kränze. Zwei waren von uns. Also danke, dass du daran gedacht hast.«
    Das Summen des Rasierers nervte mich zunehmend. »Kannst du vielleicht mal aufhören, dich zu rasieren, wenn du mit mir redest?«
    »Fertig.« Er legte den Rasierer zurück in die Schublade. »So. Und jetzt erzähl mal, was wirklich los ist.«
    »Vor zwei Tagen haben wir meine Mutter beerdigt«, sagte ich zögernd.
    »Wie viele Nachbarn waren da?«
    »Zu wenig.«
    »Sieben, acht?«, fragte er.
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Henny Langhoff?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Christa Heinecken?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf.
    »Die Kiesers?«
    »Nein.«
    »Soll ich weitermachen?«
    »Nur zu. Es ist so besonders tröstlich.«
    »Du hast doch nicht ernsthaft etwas anderes erwartet, oder? Deine Mutter war nicht mehr dieselbe wie früher.«
    »Ich liebe deine Sensibilität«, sagte ich.
    »Die meisten Menschen sind kleinkarierte Idioten, das solltest du doch langsam wissen. Und deine Mutter hat es den anderen auch nicht gerade leicht gemacht.«
    »Was kann Eddie dafür? Sie hatte Depressionen«, sagte ich.
    Er beugte sich nach vorn. »Geht es wirklich darum?«
    Ich schwieg und starrte an ihm vorbei.
    »Was ist los?«, bohrte er, und als ich wieder nicht antwortete, sagte er: »Dann eben nicht.«
    »Leo hat sich nicht mal nach Eddies Tod gemeldet«, sagte ich leise und wandte ihm den Kopf wieder zu. »Und er war auch nicht auf ihrer Beerdigung.«
    Cornelius erwiderte nichts.
    »Hast du mich gehört?«
    »Das meinst du jetzt nicht ernst, oder?«, fragte er.
    »Doch«, beharrte ich. »Genau das tue ich.«
    »Meine Güte. Es geht also immer noch um Leo.«
    »Du hast mir nie gesagt, wie du die Sache siehst.«
    Er schüttelte den Kopf, als spräche er mit einem unverständigen Kind. »Du hast mich nie gefragt.«
    »Das stimmt nicht. Wir haben damals darüber geredet.«
    »Du hast mich nie gefragt. Du hast geredet. Du wolltest doch gar nicht, dass ich etwas dazu sage.«
    »Aber jetzt will ich es.«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Hat er Charles vorsätzlich ermordet?«
    »Die polizeilichen Untersuchungen ließen keine anderen Rückschlüsse zu.«
    »Du glaubst also, dass Leo ein Mörder ist?«
    »Ja.«
    »Aber du hast es nie gesagt. Und immer wenn ich Argumente vorgebracht habe, dass es vielleicht ein Unfall war, dann hast du nicht widersprochen.«
    »Ich hab mich immer nur gefragt, wen du damit überzeugen wolltest. Mich oder dich? Ich dachte, du brauchst das, um mit der Sache überhaupt irgendwie klarzukommen. Dreh mir jetzt keinen Strick daraus.«
    »Aber die Argumente waren nicht von der Hand zu weisen.«
    »Welche?«
    »Dass ich Charles geliebt habe und Leo mir nie wehgetan hätte. Dass die beiden gemeinsam an irgendeiner Sache dran waren. Dass es auf dem Gewehr keine Fingerabdrücke gab. Und dass mein Bruder niemals jemanden umgebracht hätte.«
    »Wenn du das glauben willst, bitte.«
    »Und du?«
    »Ich glaube, dass Charles und Leo Freunde waren. Aber sie hatten auch ein massives Problem, seit Leo und Konrad gesessen hatten, Charles und Hinner jedoch nicht. Und kurz bevor das Ganze passierte, hatten Charles und Leo wegen irgendetwas Stress. Das weißt du doch ganz genau.«
    »Deshalb bringt man aber niemanden um.«
    »Menschen werden wegen allem Möglichen ermordet. Ein Lächeln zur falschen Zeit, eine falsche politische Einstellung, ein neuer Freund. Manchmal sogar wegen ihrer Zivilcourage. Du erinnerst dich doch an den Lehrer, den zwei Sechzehnjährige zu Tode geprügelt haben, weil er eingriff, als sie eine alte Frau drangsalierten?«
    Cornelius’ Assistentin Mellie steckte den Kopf zur Tür herein.
    »Hi, ihr zwei«, sagte sie. »Tut mir leid, eure Unterhaltung zu stören, aber da draußen steht der Verlagsleiter persönlich. Er möchte zu dir, Conny.«

2
    Ich ging den langen Flur hinunter zur
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