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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten
Autoren: Mika Bechtheim
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News-Redaktion – ein Großraumbüro, in dem ab zehn Uhr nonstop Telefone klingelten, Redakteure in ihre Headsets sprachen oder in einen Hörer, der zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt war, während sie weiter auf Tastaturen einhämmerten. Ständig lief irgendwer geschäftig durch den Raum, um mit dem Ressortleiter Texte zu besprechen, Fotos auszusuchen, Zitate zu autorisieren, Storys weiterzuverfolgen oder aufzudecken. Die einzige Möglichkeit, ungestört an einem Text zu arbeiten, bestand darin, sich die knopfgroßen Kopfhörer des iPods in die Ohren zu stecken und bei Musik zu schreiben. Es gehörte mit zu meinen Privilegien, in einem eigenen Büro zu arbeiten, wenngleich es mehr einer Kammer glich. Außer mir gab es nur noch zwei andere Reporter und natürlich die Ressortleiter, denen ebenfalls ein Büro zustand.
    Um diese frühe Stunde jedoch war im Großraumbüro noch alles ruhig. Vor zwei Nachrichtenterminals beugten sich die dunklen Rücken zweier Redakteure den Bildschirmen entgegen, der Rest der Belegschaft kam erst zur Morgenkonferenz um halb zehn.
    Tom Heise, in den Siebzigern und Achtzigern der Starreporter des Blattes, nun kurz vor dem Ruhestand und deshalb aufs Abstellgleis geschoben, nickte mir knapp zu, als ich an ihm vorbeiging. Mehr als dieses Nicken hatte ich von Tom nicht zu erwarten. Von den meisten anderen Kollegen allerdings auch nicht.
    Es wäre leicht zu sagen, es ginge dabei allein um beruflichen Neid oder darum, dass ich mit Cornelius befreundet war und mir deshalb mehr erlauben konnte als andere. Das gefiel nicht jedem in einer Branche, von der selbst Eingeweihte behaupteten, sie gliche einem Haifischbecken. Doch ich war an der Distanziertheit meiner Kollegen nicht ganz unschuldig.
    Als ich beim Hamburger Blatt anfing, hatte ich alle Versuche meiner Kollegen, ein paar persönliche Worte mit mir zu wechseln oder nach Feierabend ein Bier zusammen zu trinken, konsequent abgelehnt. Ich war der Meinung, man sollte Job und Privatleben trennen. Zu sehr war mir bewusst, wie schnell Sympathien in Antipathien umschlagen konnten. Und so hielt ich es für besser, Abstand zu wahren. Meine Kollegen hatten das schnell verstanden. Niemand lässt sich gern zurückweisen – und Redakteure sind da empfindlich und nehmen es einem besonders übel, auch wenn Zurückweisung ihr täglich Brot ist. Routiniert damit umgehen aber können nur die wenigsten. Redakteure werden nämlich nicht nur dafür bezahlt, Artikel zu schreiben. Sie werden auch dafür bezahlt, Tag für Tag Themen vorzuschlagen, die abgeschmettert werden, Porträts zu schreiben, die dann doch nicht erscheinen, oder Reportagen abzugeben, von denen sie sich bei Erscheinen fragen, ob außer der Autorenzeile noch etwas von ihnen geblieben ist.
    Jedenfalls versiegten die Einladungen zum Mittagessen, Bier oder Kinobesuch nach kurzer Zeit. Inzwischen jedoch gab es junge Nachwuchsredakteure, die ich mochte und denen ich zu alt war, um mich auf ein Bier einzuladen – und einer von ihnen saß gerade an einem Computer, neben dem ein quietschbunter Weihnachtskalender mit Überraschungseiern zwischen Bergen von Ausdrucken stand.
    »Ich brauche dringend ein Dossier über Roland Koslowski. Alles, was du im Netz findest, und unsere Berichte«, sagte ich zu Lars, der die Meldungen der verschiedenen Pressedienste ausdruckte und sortierte, während er ein Brötchen mit Rührei in sich hineinstopfte. »Kannst du mir das möglichst schnell besorgen?«
    Lars schluckte, und sein spitzer Adamsapfel hüpfte auf und ab.
    »›Hallo‹ wäre ganz nett«, sagte er, »auch wenn ich hier nur der Dämlack vom Dienst bin.«
    Ein Krümel hing in seinem Mundwinkel. Ich deutete mit dem Finger darauf.
    »Hallo«, sagte ich und lächelte. »Nimm’s nicht persönlich, aber mein Tag hat ziemlich blöd angefangen.«
    Lars war 24 und seit drei Monaten einer von drei Volontären, die wir in der Redaktion ausbildeten. Cornelius hatte ihn als Erstes ins Hamsterrad der Newsticker geschickt. Er fand, so könnte man den jungen Leuten die Flausen austreiben, die glaubten, Journalismus sei ein Job für kreative Genies mit einem Hang zu Chaos und lockerem Leben. Journalismus war Handwerk, Fleiß, Detailgenauigkeit. Nichts für Schussel oder Selbstdarsteller, auch wenn es heutzutage in einigen Redaktionen von solchen Typen nur so wimmelte. Der Job in der Newsticker-Abteilung war Fleißarbeit pur und unter den Volontären verhasst. Noch abtörnender war in ihren Augen nur noch die Abteilung
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