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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten
Autoren: Mika Bechtheim
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versprechen, Leo nicht mehr wiederzusehen. Deshalb trafen sie sich heimlich. Laurens Mutter stellte sich blind.
    Leo sprach schließlich mit Charles darüber, und es war Charles’ Idee, das Band aufzunehmen und Paul damit zu erpressen. Damit kannten sie sich ja aus, sagte Leo und lachte. Sie wollten Druck auf Paul, den Chef der Familie, ausüben. Sie dachten, so hätten sie die besten Chancen, denn vor Paul hatte Hinner einen Riesenrespekt. Paul sollte dafür sorgen, dass Hinner aufhörte, Lauren zu vergewaltigen. Charles wollte heimlich das Band aufnehmen. Leo brachte es nicht über sich, der Vergewaltigung seiner Freundin zuzuhören. Danach trafen sie sich mit Paul bei uns in der Garage. Sie hatten Eddies Gewehrschrank geknackt. Sie hatten ein Gewehr mitgenommen, um dem Ganzen mehr Ernst zu geben, und es wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn Eddie an diesem Tag nicht früher aus der Bibliothek nach Hause gekommen wäre.
    »Paul hat irgendwann gebrüllt, und Charles fuchtelte mit dem Gewehr vor Paul herum und brüllte zurück, er würde ihm und Hinner das Gehirn wegpusten, wenn diese Vergewaltigungen nicht endlich aufhörten. In dem Moment kam Eddie rein. Sie riss ihm die Waffe aus der Hand und hielt uns alle drei damit in Schach. Dann schaltete sie das Band ein. Sie hörte mit regloser Miene zu, und mit regloser Miene legte sie auf Paul an, als Lauren ›Daddy‹ sagte. Charles sprang dazwischen und stand mit dem Rücken zu Eddie, als sie abdrückte.«
    Paul rief dann seinen Kumpel Kortner an, erzählte Leo weiter, und Kortner hatte einen perfekten Plan.
    Leo fuhr an einem Auto vorbei, das genau vor unserer Einfahrt parkte. Gregor Patzig war es nicht. Der schlief längst.
    Ich sprang aus dem Auto, kramte mit zitternden Händen den Schlüssel aus meiner Jackentasche und stürzte sofort hinauf in Leos Zimmer.
    Friedlich schliefen die Jungs in Leos Bett. Max murmelte etwas, als ich mich über ihn beugte und ihn auf die Stirn küsste voller Erleichterung, dass er nicht irgendwo verängstigt, zitternd und einsam in einem dunklen Auto saß oder – noch schlimmer – in einem kalten Kellerloch.

54
    Als ich wieder hinunterkam, konnte ich mein Glück kaum fassen. Leo und Cornelius saßen am Küchentisch mit einem Glas Wein in der Hand, als sei es das Normalste der Welt.
    Leo war wie wir alle älter geworden. Im Küchenlicht leuchteten die ersten grauen Strähnen in seinen Haaren. In den Schultern war er breiter geworden, doch er war immer noch schlank. Und er besaß noch immer dieses jungenhafte Lächeln, das dem von Max so ähnelte.
    Cornelius zeigte auf den Wein. Ich schüttelte den Kopf, und er kochte mir einen Kakao.
    »Wo bleibt Adam?«, fragte ich. »Er müsste doch langsam hier sein.«
    Cornelius warf Leo einen Blick zu.
    »Was?«, fragte ich.
    »Das brauchst du nicht zu wissen«, sagte Leo.
    »Jungskram, was?«, fragte ich und lachte glücklich. Das Glück hielt einen Lidschlag lang.
    Cornelius wand sich auf seinem Stuhl.
    »Nein«, sagte ich. »Das tut er nicht.« Ich sprang von meinem Stuhl auf.
    »Doch«, sagte Leo. »Genau das tut er.«
    Ich ging auf ihn zu. »Das kannst du nicht zulassen«, sagte ich, und er lachte.
    »Setz dich wieder hin. Sie wollen ein Geständnis. Sie haben nicht genügend Beweise gegen Hinner. Sie nehmen ihn nur ein bisschen in die Mangel.«
    Cornelius nickte. »Es ist nicht demokratisch und auch nicht legal. Aber ich glaube, es ist richtig.«
    »Wo sind sie?«, fragte ich.
    »Julie.«
    »Wo sind sie, verdammt noch mal?«
    »In den alten Wehrmachtsbunkern«, sagte Leo widerwillig.
    »Ich muss da hin.«
    »Nein«, sagte Leo und packte meine Hand. »Hinner wird ein vollständiges Geständnis ablegen, und dann bringen sie ihn aufs Revier.«
    »Und Konrad? Was ist mit dem? Seine Frau ist hochschwanger. Es geht ihr nicht gut.«
    »Oh«, sagte mein Bruder. »Seiner Frau geht es hervorragend. Sie hat heute Morgen ein Mädchen zur Welt gebracht.«
    Ich lächelte nicht. Konrad hatte es mir nicht gesagt. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete.
    »Weshalb hat Kortner Konrad verhaftet?«
    »Das hat er nicht«, sagte Leo.
    Ich verstand nichts mehr.
    »Erzähl es ihr«, sagte Cornelius. »Erzähl ihr alles.«
    Leo trank einen Schluck Wein.
    »Es wird dich verletzen. Aber Eddie wusste immer, wo ich war.« Er sah mich an, und ich nickte. Natürlich.
    »Sie schrieb mir eine Mail, nachdem Vera vor vier Monaten ermordet worden war. Sie schrieb, jemand müsste das Töten endlich beenden. Wir
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