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Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Titel: Brother Sister - Hoert uns einfach zu
Autoren: Sean Olin
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angerufen. Er sagt, er hat schon ne ganze Weile versucht, Kontakt mit uns aufzunehmen, aber wir waren nie zu Hause, wenn er anrief. Er hat sich Sorgen um uns gemacht. Angeblich schon länger. Er hatte nur nie den Mut, uns anzusprechen. Ich hab ihm erzählt, was mit Mom los ist, und du glaubst nicht, was er dann gesagt hat. Er sagte: ›Dann kommt doch zu mir nach Mexiko. Ihr habt ja sowieso gerade Ferien. Das tut euch bestimmt gut.‹«
    Er holte einen aufgerissenen Briefumschlag aus dem Fach unter dem Radio und hielt ihn mir hin, sodass ich Dads Adresse in Baja del Mar, Mexiko, sehen konnte.
    »Wo hast du den her?«, fragte ich.
    »Da war einer der Schecks drin, die er Mom immer schickt«, sagte Will.
    Ich sah mir die Wunde auf seiner Stirn genauer an. Sie schien ziemlich tief zu sein. Ich wollte lieber nicht wissen, wo und wie sie zustande gekommen war. Auch sonst wollte ich nichts wissen. Ich wusste schon viel zu viel und es belastete mich und machte mich traurig.
    »Freust du dich denn gar nicht?«, fragte er. »Ich dachte, das wolltest du schon lange. Wir besuchen Dad ! Er will uns helfen. Darauf wartest du doch schon ewig.«
    Mich freuen? Es war ja nicht so, dass ich freiwillig hier saß. Aber abgesehen davon wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich wollte. Und ich hatte keine Ahnung, worüber ich mich je wieder freuen würde. Andererseits: Was, wenn Dad tatsächlich angerufen hatte? Ich hätte es nur zu gern geglaubt, aber ich konnte nicht. Dad hatte ganz sicher nicht angerufen. Trotzdem schien Will so wild darauf zu sein, schnell zu ihm zu kommen, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn er glaubte, eine Herde rosa Elefanten sei hinter uns her. Wenn Dad aber gar nicht angerufen hatte – warum fuhren wir dann nach Mexiko? Falls wir nach Mexiko fuhren.
    »Ja«, sagte ich. »Super.«
    Und wenn es nun doch stimmte? Wenn wir wirklich zu Dad fuhren? Würde er mir helfen? War das zu viel verlangt? Es war die einzige Hoffnung, die mir noch blieb.
    Ich schloss die Augen und versuchte, nicht daran zu denken, was womöglich noch alles passiert war und was Will als Nächstes vorhatte. Ich konnte nicht mehr. Aber es kam immer wieder hoch, und mir wurde klar, dass ich in der Falle saß, dass ich Wills Gefangene war. Langsam bekam ich Panik, und alles, was ich zwischendurch gedacht hatte, war wie ausgelöscht. Ich musste jedes Mal wieder von vorn anfangen.
    Irgendwann gab ich’s dann auf. Ich versuchte, mich zu entspannen und so zu tun, als sei ich gar nicht da. Als sei überhaupt nichts mehr da. Ich stellte mir vor, dass alles nur ein Albtraum war und dass ich mich langsam auflöste und Teil dieses Albtraums wurde. Wenn dieser Albtraum vorbei war, würde alles wieder normal sein. Irgendwann bin ich dann wohl eingeschlafen, denn als ich wieder zu mir kam, war es dunkel geworden, und wir rasten den Highway 5 runter, Richtung L. A. Will hatte Musik angestellt, ganz leise. Eine dieser Metal-Bands, die er so gern hört. Ich weiß nicht, welche. Ich kann sie nicht auseinanderhalten, für mich klingen die alle wie aus einer anderen Welt.
    Wir waren in dem Teil Kaliforniens, wo sich die Landschaft konturlos in alle Richtungen ausdehnt. Gerade, düstere Linien zeichneten sich in der Dunkelheit ab. Keine Lichter. Keine anderen Autos. Nichts.
    »Gespenstisch, was?«, sagte Will.
    »Kann man wohl sagen.«
    »Als wären wir die einzigen Lebewesen auf der Welt.«
    Er hatte recht. Nur, dass das für mich keine schöne Vorstellung mehr war.

Will
    Wir fuhren durch dieses Niemandsland. Nur wir und der Eagle. Um uns rum Dunkelheit. Stundenlang. Ich merkte, wie eine Veränderung mit mir vorging. Es war, als tauchte ich in eine andere Realität ab, eine, in der ich mich wohler fühlte als in Morro Bay. Die Leere gefiel mir. Keine anderen Menschen mit ihren rücksichtslosen, eigensüchtigen Wünschen und Vorstellungen. Nur ich und Asheley, wie in einer schützenden Blase. Um uns rum nur Wildnis. Ich hätte ewig auf dieser Straße weiterfahren können.
    Aber irgendwann muss jeder mal was essen. Wenn ich mein Versprechen halten und Ash retten wollte, musste ich dafür sorgen, dass sie genug zu essen bekam.
    Gegen elf machte ich an einer Raststätte am Highway 5 halt, an einem In-N-Out. Lieber wäre mir eine kleinere, unauffälligere gewesen, aber in der Gegend gab es nichts anderes.
    Das Ding war rappelvoll. Nachdem wir stundenlang in einem Vakuum gesteckt hatten, wurden wir hier mit der Zivilisation in ihrer groteskesten Form konfrontiert.
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