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Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)

Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)

Titel: Briefe aus dem Gefängnis (German Edition)
Autoren: Rosa Luxemburg
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Straße im Dunkeln zu spielen, bis sie von der Ecke aus energisch nach Hause gerufen wurden. Um diese Stunde gab es immer noch irgend eine Amsel, die keine Ruhe finden konnte und plötzlich wie ein ungezogenes Kind kreischte oder plapperte aus dem Schlaf und geräuschvoll von einem Baum zum andern flog. Und ich stand da mitten in der Straße, zählte die ersten Sterne und mochte gar nicht heim aus der linden Luft und der Dämmerung, in der sich der Tag und die Nacht so weich aneinanderschmiegten.
    Sonjuscha, ich schreibe Ihnen bald wieder. Seien Sie ruhig und heiter, alles wird gut werden, auch mit Karl. Auf Wiedersehen bis zum nächsten Brief.
    Ich umarme Sie.
    Ihre Rosa.

Wronke, 19. 5. 17.
     
    ....... Wie schön ist es jetzt hier! Alles grünt und blüht. Die Kastanienbäume sind in frischem herrlichen Laubschmuck, die Zierjohannisbeeren haben gelbe Sternchen, die Zierkirsche mit dem rötlichen Laub blüht auch schon und der Faulbaum wird nächstens blühen. Ich habe heute von Luise Kautsky, die mich besucht hat, zum Abschied einen Haufen Vergißmeinnicht und Stiefmütterchen gekriegt und sie selbst eingepflanzt! Zwei runde Klümbchen und eine gerade Linie dazwischen, immer abwechselnd Vergißmeinnicht und Stiefmütterchen, – alles steht so fest; ich traue kaum meinen Augen, denn ich habe zum ersten Mal im Leben gepflanzt und alles ist gleich so gelungen. Gerade zu Pfingsten werde ich so viel Blumen vor dem Fenster haben!
    Vögel gibt es jetzt hier eine Menge neue, jeden Tag lerne ich wieder einen kennen, den ich nie gesehen hatte. Ach, wissen Sie noch, damals im Botanischen mit Karl in der Frühe, als wir die Nachtigall hörten, da sahen wir auch einen so großen Baum, der noch ganz ohne Laub, aber massenhaft mit kleinen leuchtend weißen Blüten bedeckt war; wir zerbrachen uns den Kopf, was denn das sei, denn es war klar, daß es kein Obstbaum war und die Blüten waren auch etwas seltsam. Jetzt weiß ich! Das ist eine Silberpappel und diese Blüten sind keine Blüten, sondern junge Blättchen. Das erwachsene Blatt der Silberpappel ist nämlich nur untenweiß, oben dunkelgrün, die jungen aber sind noch beiderseits mit weißem Flaum bedeckt und leuchten in der Sonne wie weiße Blüten. Solch eine große Pappel steht hier in meinem Gärtlein und auf ihr sitzen mit Vorliebe alle Singvögel. Damals, am gleichen Tage, wart Ihr Beide bei mir abends, erinnern Sie sich noch? Es war so schön; wir lasen uns etwas vor, und um Mitternacht, als wir stehend Abschied nahmen – durch die offene Balkontür floß himmlische Luft mit Jasminduft herein –, trug ich Euch noch jenes spanische Lied vor, das ich so gern habe:
    Gepriesen sei, durch wen die Welt entstund, Wie trefflich schuf er sie nach allen Seiten, Er schuf das Meer mit endlos tiefem Grund, Er schuf die Schiffe, die hinübergleiten. Er schuf das Paradies mit ewigem Licht, Er schuf die Erde – und Dein Angesicht!....
    Ach Sonitschka, wenn Sie das nicht in Wolfscher Musik gehört haben, dann wissen Sie nicht, wieviel glühende Leidenschaft in diesen schlichten zwei Schlußworten liegt.
    Jetzt, während ich das schreibe, ist eine große Hummel ins Zimmer geflogen und füllt es mit tiefem Brummen. Wie schön das ist, welche tiefe Lebensfreude liegt in diesem satten Ton, der von Fleiß und Sommerhitze und Blumenduft vibriert.
    Sonitschka, seien Sie heiter und schreiben Sie bald, bald, ich habe Sehnsucht.
    Ihre Rosa.

Wronke, den 23. 5. 17.
     
    ... Ihr letzter Brief vom 14. war schon hier, als ich den meinigen abschickte. Ich bin sehr froh, wieder in Fühlung mit Ihnen zu sein und möchte Ihnen heute einen warmen Pfingstgruß senden! »Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen«, so beginnt der Goethesche Reineke Fuchs. Hoffentlich werden Sie es einigermaßen heiter verleben. Voriges Jahr haben wir ja zu Pfingsten mit Mathilde den schönen Ausflug nach Lichtenrade gemacht, wo ich die Ähren für Karl pflückte und den wundervollen Zweig mit Birkenkätzchen. Am Abend gingen wir dann noch als die »drei edlen Frauen aus Ravenna« mit Rosen in der Hand auf dem Südender Feld spazieren.... Hier blüht jetzt auch schon der Flieder, heute ist er aufgegangen; es ist so warm, daß ich mein leichtestes Mousselinkleid anziehen mußte. Trotz Sonne und Wärme sind aber meine Vöglein nach und nach fast ganz verstummt. Sie sind offenbar alle vom Brutgeschäft sehr in Anspruch genommen; die Weibchen sitzen im Nest, und die Männchen haben alle Schnabel voll zu tun, um für sich
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