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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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heiratete; auf La Réunion – was auch Dercap für eine ganz und gar blödsinnige Idee gehalten hatte, der Bräutigam kam aus demselben verschlafenen Kaff wie sie, drei Kilometer von Pont Aven entfernt.
    Dupin nestelte wieder an den Tasten der Telefonanlage herum.
    »Riwal?«
    »Monsieur le Commissaire.«
    »Sind Sie schon da?«
    »Ja. Gerade angekommen.«
    »Wo liegt der Tote?«
    »Unten im Restaurant.«
    »Waren Sie schon dort?«
    »Nein.«
    »Lassen Sie niemanden rein. Niemand geht da rein, bevor ich da bin. Auch Sie nicht. Wer hat Pennec gefunden?«
    »Francine Lajoux. Eine Angestellte.«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen. Ich bin wirklich gerade erst angekommen.«
    »Gut. Ja. Ich bin sofort da.«
    Die Blutlache kam Kommissar Dupin ungeheuer groß vor, sie hatte sich unförmig ausgebreitet, den Unebenheiten des Steinbodens folgend. Pierre-Louis Pennec war ein hochgewachsener Mann, dünn, sehnig. Graue, kurze Haare. Eine stolze Gestalt, noch mit seinen einundneunzig Jahren. Seine Leiche lag merkwürdig verrenkt auf dem Rücken, die linke Hand fasste in die Kniekehle, die Hüfte war stark verschoben, die rechte Hand lag auf dem Herzen, das Gesicht war auf entsetzliche Weise verzerrt. Die offenen Augen starrten zur Decke. Er hatte ganz offensichtlich mehrere Wunden, am Oberkörper, am Hals.
    »Jemand hat Pierre-Louis Pennec übel zugerichtet. Einen alten Mann. Wer tut so was?«
    Riwal stand zwei Meter hinter Dupin, sie waren allein. In seiner Stimme lag Entsetzen. Dupin schwieg. Es stimmte, was Riwal sagte. Dupin hatte einige Mordopfer gesehen. Das hier war in der Tat ein brutaler Mord.
    »So ein Scheiß!« Dupin fuhr sich heftig durch die Haare.
    »Vermutlich Messerstiche. Aber von der Tatwaffe ist nichts zu sehen.«
    »Immer mit der Ruhe, Riwal.«
    »Zwei Kollegen aus Pont Aven sichern das Hotel, Monsieur le Commissaire. Ich kenne einen davon, Albin Bonnec. Der ist schon länger dabei. Ein sehr guter Polizist. Der andere heißt Arzhvaelig. Den Vornamen konnte ich mir nicht merken. Noch ein sehr junger Kollege.«
    Dupin musste unwillkürlich lächeln. Riwal war selbst noch jung, Anfang dreißig, erst in seinem zweiten Jahr als Inspektor. Er war genau. Schnell. Klug. Obwohl er immer etwas behäbig wirkte und auch so sprach. Er hatte manchmal einen spitzbübischen Ausdruck im Gesicht, den Dupin mochte. Und er machte nie Aufhebens um sich.
    »Es war noch niemand im Raum?«
    Dupin hatte die Frage schon drei Mal gestellt, was Riwal indes kein bisschen irritierte.
    »Niemand. Aber der Gerichtsmediziner und die Spurensicherung müssen bald hier sein.«
    Dupin hatte verstanden. Riwal wusste, dass der Kommissar es mochte, sich in Ruhe umzusehen, bevor die ganze Meute anrückte.
    Pennec lag in der hintersten Ecke, direkt vor der Bar. Der Raum war L-förmig, im langgestreckten, vorderen Teil das Restaurant, im hinteren, abgeknickten Teil die Bar. Vom Restaurant kam man durch einen kleinen Flur in die Küche, die sich in einem Anbau hinter dem Haus befand. Die Tür war verschlossen.
    Die Hocker vor dem Tresen der Bar standen ordentlich aufgereiht, nur einer ein Stück nach hinten versetzt. Ein einzelnes Glas stand auf dem Tresen. Und eine Flasche Lambig, der Apfelschnaps der Bretonen, auf den sie sehr stolz waren – wie sie auf alles genuin Bretonische oder das, was sie dafür hielten, auf sehr intensive Weise stolz waren. Dupin trank ihn auch gern. Das Glas war fast leer. Keinerlei Anzeichen eines Kampfes, es war nicht die kleinste Auffälligkeit in diesem Teil des Raums auszumachen, ganz offensichtlich war er noch am Abend von den Hotelangestellten sorgsam aufgeräumt und gereinigt worden. So wie das ganze Restaurant. Die Tische und Stühle standen in penibler Anordnung, es war schon eingedeckt, ländlich-rustikale, bunte Tischdecken, der Boden blitzsauber. Das Restaurant und die Bar mussten vor nicht allzu langer Zeit renoviert worden sein, alles sah neu aus. Und war gut isoliert, nichts war von draußen zu hören, gar nichts. Nicht von der Straße, obgleich es drei Fenster gab, nicht aus dem Vorraum, der gleichzeitig der Eingangsbereich des Hotels war. Die Fenster waren fest verschlossen, Dupin hatte sie sich genau angesehen.
    Die gewissenhafte Ordnung und Sauberkeit – die ganze Normalität des Raums bot einen unheimlichen Widerspruch zu dem grausigen Bild, das die Leiche abgab. An den weiß getünchten Wänden hingen wie überall im Ort die obligatorischen Gemäldekopien aus der
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