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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman
Autoren: C.H.Beck
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hatten vor Monaten solche und ähnliche Wortschöpfungen in Science-Fiction-Serien aufgeschnappt. Wobei ich mich noch gut daran erinnere, dass es eine Zeit gab, in der nahezu alles als Science-Fiction galt, was unmittelbar mit der Zukunft zu tun hatte, und diese begann (wie ich vor den Jüngsten augenzwinkernd zu behaupten pflegte) spätestens in zehn Minuten.
    Wir krochen in die nächstbesten Stollen und Gänge, in den Lichtkegeln der Taschenlampen wirkten die Gesichter aller am Erkundungstrupp beteiligten Kinder um Jahre gealtert. Zum ersten Mal meinte ich zu erkennen, dass wir allesamt keine Kinder (und Jugendlichen) mehr waren, irgendetwas hatte uns verändert, und ich zweifele sehr daran, ob es zum Guten war. Die Mädchen ähnelten alten Frauen (sie bewegten sich äußerst vorsichtig auf dem glitschigen Untergrund), ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und die wandernden Schatten verliehen ihnen ein nahezu gespenstisches Aussehen. Die Burschen glichen einer ergebenen Dienerschaft, wo doch die meisten ihre T-Shirts und Hemden ausgezogen hatten, es war feucht und heiß in diesem Teil der Minen, und ihre Oberkörper glänzten ölig, sie rochen nach Schweiß und einem Rest von jugendlichem Übermut.Ich bildete keine Ausnahme, das Hemd hatte ich um meine Hüften geschlungen, und ich war sofort bereit, den Mädchen jeden Wunsch von den Augen abzulesen, wir trugen sie eine Weile sogar auf unseren schmierigen Schultern (wenn es die Gänge zuließen). Bestimmt würden wir irgendwo unter der Erde eine Quelle finden (wie es uns befohlen wurde), und die Mädchen könnten kurz darin baden und die missliche Lage der Siedlung vergessen. Sie würden sich gegenseitig die Haare spülen und etwas herumalbern, und wir Burschen
müssten
ihnen dabei zusehen, mit leuchtenden oder hungrigen Augen.
    Ich stellte mir sogar kurz vor, wir wären irgendwo im dunklen Afrika, eine Expedition zum Mittelpunkt des Dschungels, wo es galt, seltene Kostbarkeiten einzufangen … Vögel mit Diamantaugen oder Hyänen mit Goldzähnen, Krokodile mit smaragdenen Schuppen oder Kolibris aus hellstem Licht, in allen Farben schillernd, die selbst an dunkelsten Orten leuchten. Wir waren eine Karawane aus männlichen Sklaven und wohlriechenden, weißen Herrinnen, die mit uns tun konnten, was sie wollten, weil wir sie insgeheim für ihre Tugenden bewunderten und uns ihren Zielen beugten. Wir trugen sie in Sänften und fächerten ihnen am Lagerfeuer Frischluft zu, sie lächelten wohlwollend und lauschten den Geräuschen des nächtlichen Dschungels, den raschelnden Blättern und blubbernden Tümpeln, dem vorwitzigen Glucksen der Äffchen und den schleichenden Tritten der scheuen Räuber.
    Früher dachte ich noch, die schwarzen Menschen in Afrika seien wie hiesige Minenarbeiter, über und über mit Schmutz bedeckt, und hätten sie die Möglichkeit gehabt, sich ausgiebigzu waschen (in den Flüssen und so weiter ging das nicht wegen der Krokodile), kämen ebenfalls weiße Menschen zum Vorschein, jenen in unserer Siedlung nicht unähnlich. Ich stellte mir vor, Afrika sei eine ferne Mine, die allerdings mit der unseren verbunden war, allerlei Wildtiere krochen seit jeher durch die unterirdischen Gänge, um in unseren Wäldern neue Zufluchtsstätten zu finden. Das würde die seltsame Fauna erklären, die bei uns gedieh, die der Onkel so vortrefflich zu fangen und zu zähmen wusste. Vielleicht waren ihm all die Sechs- und Achtbeiner schon früher in den Schächten begegnet, als er mit seinen Gefolgsleuten und Gefährten Steine nach oben karrte. Ein vorbeihuschender
Exot
musste einfach eine mehr als nur willkommene Abwechslung dargestellt haben, die Männer hatten doch sonst gar keine «Zerstreuung». Möglicherweise hat man die fremden Schatten in ebensolchen Momenten benannt und sie nach ihrem Aussehen klassifiziert …
Langohrschreck
und
Schattenzahn
und
zotteliges Leuchtauge
und
schwelender Neunstachler, urtümlicher Laufbeiner
oder
Hüftgold mit Flügeln.
    Als Kind habe ich mir immer gedacht, diese und ähnliche Geschichten in meinem Kopf müssten irgendwo ihren Ursprung haben … Ich stellte mir vor, wenn zu Hause der Regen auf das Fensterbrett (ob Schnürl- oder Platzregen, ganz egal) trommelte, dass dort irgendwer mithilfe der abertausenden Wassertropfen auf einer unsichtbaren Maschine schrieb, jeder Tropfen war ein Anschlag, ein Buchstabe, vielleicht sogar ein Wort, und ich wollte unbedingt diesen Geschichten lauschen. Sie erzählten von der Möglichkeit, die
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