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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln
Autoren: L Reese
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trafen, dann meistens in seinem Haus. In der Regel rief er sie ziemlich spät am Abend an und lud sie ein, zu
ihm herüberzukommen – als wäre sie ihm gerade erst eingefallen.
    »Klingt nach einem guten Fang«, stellte Mrs. Deever fest. »Den würde ich mir an deiner Stelle warmhalten.« Sie sagte das, als hätte Franny viele Männer, unter denen sie auswählen könnte, viele, die sie sich warmhalten könnte. Franny warf einen Blick auf ihre anderen Patienten, um zu prüfen, wie es ihnen ging.
    Mit einem Seufzer rollte Mrs. Deever ihren Kopf langsam von einer Seite zur anderen und schloß die Augen. Sie hob die Hand und strich leicht über ihren Nacken. Franny wollte gerade gehen, als Mrs. Deever die Augen wieder aufschlug und mit müder Stimme weitersprach.
    »Mein Frank war kein so guter Fang. Er hat mir das Leben immer schwergemacht. Ich weiß nicht, warum manche Männer so sind. Er hat mir das Vertrauen in die Männer genommen. Nach ihm mochte ich es mit keinem anderen mehr versuchen.« Sie schloß erneut die Augen und war innerhalb einer Minute eingeschlafen.
    Franny mußte daran denken, wie sie nach der Schule oft mit Jenny, Mrs. Deevers Tochter, nach Hause gegangen war. Jennys Vater war immer unterwegs gewesen, auf irgendwelchen dubiosen Reisen, und Mrs. Deever hatte sich währenddessen mit einer Flasche bei Laune gehalten. Wenn Franny und Jenny in Jennys Zimmer spielten, kam Mrs. Deever oft mit einem Teller Kekse hereingeplatzt. Manchmal kam sie auch einfach so, ohne alles. Sie brauchte nur einen Vorwand, um zu ihnen kommen zu können. Dann tanzte sie mit einem viel zu krampfhaften Lächeln ins Zimmer und störte sie beim Spielen. Damals war sie schön, eine kurvenreiche Frau mit großem Busen, langen, lackierten Nägeln, goldenem Haar und Schmuck, der bei jeder Bewegung klirrte und glitzerte, was die beiden zehnjährigen Mädchen sehr faszinierte. Mit übereinandergeschlagenen Beinen saß sie dann auf dem
Fußende von Jennys Bett, wippte abwesend mit dem Fuß, rauchte ein Zigarette und nippte an ihrem bernsteinfarbenen Drink – sie hatte praktisch immer einen Drink mit klirrenden Eiswürfeln in der Hand, der, wie die Mädchen wußten, aus der Hausbar stammte –, und sie plapperte dummes Zeug vor sich hin und lachte zu laut über Dinge, die eigentlich gar nicht lustig waren. Franny fand es traurig, wie Jennys Mutter sich aufführte, und Jenny empfand das wohl auch so, denn sie zog es vor, bei Franny zu Hause zu spielen. Als die Mädchen in die High-School kamen, war Mrs. Deever bereits geschieden. Sie war die meiste Zeit krank, und Jenny lud Franny nicht mehr zu sich nach Hause ein. Sie und Jenny waren nach wie vor befreundet, aber Jenny kam jetzt immer zu Franny, und sie schien Frannys Mutter zunehmend als ihre eigene zu betrachten. Ständig suchte sie ihre Nähe, umarmte sie ohne ersichtlichen Grund. Sie ersetzte ihre eigene Mutter durch eine andere, als handelte es sich um eine fehlerhafte Ware, etwas, das man reklamieren und gegen ein besseres Modell eintauschen konnte. Seltsam, wie sich die Dinge manchmal entwickeln, dachte Franny jetzt. Als sie Kinder waren, brauchte Jenny Frannys Mutter, aber jetzt brauchte Franny die von Jenny.
    Franny sah nach ihren beiden anderen Patienten. Sie maß ihren Blutdruck, fragte sie, wie sie sich fühlten, notierte die Daten auf ihren Überwachungsbogen. Dann drehte sie eine Runde durch den Raum, um bei den Technikern nach dem Rechten zu sehen. Alles ging seinen gewohnten, ruhigen Gang: Sämtliche Patienten waren angeschlossen, und neben ihnen surrten die Maschinen leise vor sich hin. Die Techniker, die pastellfarbene oder weiße Kittel trugen, überwachten gelassen ihre Patienten. Da alle bestens zurechtkamen, beschloß Franny, eine kleine Pause einzulegen, solange es noch so ruhig war. Sie ging erst auf die Toilette und dann in die Cafeteria, wo sie sich einen Schokoriegel aus einem Automaten holte. Ihre Diät zeigte keinen Erfolg, aber Michael schien das nichts
auszumachen. Nachmittags drehte sie immer noch ihre Runden mit dem Rad, bemüht, weiterhin so zu tun, als versuche sie abzunehmen, aber das Radfahren machte ihr nicht mehr so viel Spaß wie früher. Michael war sehr beschäftigt und hatte keine Zeit mehr, sich mit ihr am Putah Creek zu treffen. Sie vermißte ihre langen Gespräche und die Spaziergänge durch die Baumschule. Natürlich redeten sie immer noch viel miteinander, aber irgendwie war es nicht mehr dasselbe.
    Während Franny an ihrem Schokoriegel
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