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Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)

Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)

Titel: Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
Autoren: Sarah Crossan
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die Stirn und vertäut alles fest. Ächzend rammt das Deck die Mole. Per Boot kommen wir nicht mehr weiter, der Fluss verläuft ab jetzt westwärts und wir müssen nach Norden.
    Song sperrt das Türchen in der Reling auf, schiebt einen schmalen Steg zwischen Boot und Anlegestelle und geht an Land. »Vorsicht beim Aussteigen«, sagt er. Seine Augen sind leer.
    Über den Hain hat keiner ein Wort verloren und nach Hollys Tod haben wir noch mehr zu verdrängen. Nicht, dass es funktionieren würde.
    »Bist du dir sicher mit Norden?«, nimmt Silas Dorian in die Zange.
    Dorian nickt. »Von hier ist es nicht mehr weit. Ein paar Tage höchstens.« Das hört sich nach wenig an, aber der Hain liegt auch schon über eine Woche zurück. Wir sind völlig durchgefroren und ausgehungert und unser Sauerstoff geht schneller zur Neige, als wir dachten.
    »Seht nach, ob wir wirklich alle Flaschen und Waffendabeihaben«, ordnet Silas an. Er hat die Hände in die Hüften gestemmt und das Kinn leicht emporgereckt. Den Unbesiegbaren zu markieren, das hat er wirklich drauf. Und genau das brauchen wir jetzt: jemanden, der so tut, als würde alles schon in Ordnung kommen, obwohl das mehr als unwahrscheinlich ist.
    Maude tritt auf den Steg und klammert sich laut hustend an der Reling fest. »Hast du gar nichts Warmes zum Drüberziehen?«, frage ich. Das hartnäckige Nieseln ist in strömenden Regen übergegangen.
    »Was kümmert’s dich?«, blafft sie und knufft mich mit dem Ellbogen aus dem Weg. Sie trottet den Steg hinunter und hüllt sich in eine alte, feuchte Decke ein wie in ein Cape.
    »Du siehst auch nicht gerade aus, als wäre dir warm. Schlüpf da rein, Kleine.« Bruce hält mir seinen Mantel hin.
    »Alles bestens«, behaupte ich, obwohl ich so durchgefroren bin, dass ich weder meine Zehen noch meine Fingerspitzen fühle. Mit einem Schulterzucken zieht er sich den Mantel selbst über.
    Ich folge Maude die Planke hinunter auf die Mole, wo der feste Boden unter den Füßen mich erst mal aus dem Gleichgewicht bringt.
    »Ich wünschte, wir könnten es irgendwie verstecken«, meint Dorian mit einem Blick auf die alles überragenden Masten des Boots.
    Silas schnaubt nur. »Los, auf geht’s. Alle bleiben eng zusammen.«
    Wir folgen der Mole bis ans Flussufer. »Hier siehtalles gleich aus«, meint Song. Die hohen Gebäude und Kirchtürme der Großstadt haben wir hinter uns gelassen, doch hier am Fluss herrscht das vertraute Bild der Verwüstung: zerfallende Ruinen, Autowracks, verschlammte Straßen und umgestürzte Laternenmasten. Zwischen all dem Müll liegen Knochen herum, denen man nicht ansieht, ob sie von Tier oder Mensch stammen. Dahinter ein grauer, unfruchtbarer Acker nach dem anderen.
    Wenn man nur weit und schnell genug geht, so dachte ich früher, dann muss man doch irgendwann bei den übrig gebliebenen Bäumen ankommen. Reines Wunschdenken und kindisch noch dazu, denn hinter der Stadtwüste wartet nur eine weitere Wüste der Zerstörung. Nur dann eben von der ländlichen Sorte.
    »Was, wenn die uns nicht reinlassen?«, überlegt Bruce laut.
    »Irgendwelche besseren Vorschläge?«, faucht Silas. Seine Laune geht schwer den Bach runter.
    »Krieg dich wieder ein.« Ich lege ihm meine Hand auf den Arm. Er zuckt zusammen und tritt gegen einen verrottenden Kinderwagen. Dann stürmt er vorneweg, beladen mit den Waffen, einem vollem Rucksack mit Vorräten und mehreren Sauerstoffflaschen. Irgendwo sehne ich mich danach, über die Ereignisse zu sprechen. Über das, was wir gesehen haben. Aber es ist noch viel zu früh dafür und Silas ist ohnehin nicht der Redner vor dem Herrn.
    »Wer nach Sequoia geht, kehrt nie zurück«, sagt Song leise zu mir, mit einer Stimme so sanft wie Asche.
    »Petra mochte keine Deserteure. Wenn du nach Sequoiagegangen bist, dann für immer. Man musste sich entscheiden, auf welcher Seite man steht«, erinnert ihn Dorian.
    Song beißt sich auf die Unterlippe und ich blicke zum Himmel empor. Irgendwo hinter der dicken Wolkendecke muss die Sonne sein. Trübe versuche ich, mit den Zehen zu wackeln. Immer noch völlig taub.
    »Mach hin«, drängelt Maude und schubst mich in den Rücken. »Ich frier mir hier den Arsch ab.« Bruce lächelt und hakt sich bei ihr unter.
    »Die werden uns reinlassen, weil wir alle auf derselben Seite stehen«, sage ich laut, Silas zuliebe. »Wir wollen die Bäume wiederhaben. Wir wollen wieder atmen.« Er dreht sich nicht um und marschiert einfach weiter. Vielleicht hat er mich nicht
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