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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News
Autoren: Frank Schätzing
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Er versuchte es mit Schweigen. Auch der Schemen schwieg, offenbar noch nicht zufrieden. Drei Sünden sollten es wohl sein, um die Fehlbarkeit eines Zehnjährigen hinreichend unter Beweis zu stellen, damit der Mann hinter dem Gitter was hatte, was er ihm vergeben konnte.
    Na schön: Einem Jungen die Mütze vom Kopf gerissen und aufs Schuldach geworfen.
    Das hatte er aus Tom Sawyer, was anderes fiel ihm nicht ein. Wenigstens klang es originell, auch wenn Sawyers Schule eingeschossig, jene hingegen, in die Hagen ging, ein fahler Klotz von sieben Stockwerken war, was die Glaubwürdigkeit der Geschichte unterhöhlte. Doch die Nachfrage blieb aus. Vielleicht freute sich der Priester sogar. Mal was anderes, da er sich den Quatsch von den angelogenen Eltern schon im Dutzend hatte anhören müssen. Das Urteil erging, und Hagen – zu zwei Vaterunser und einem Ave Maria verdonnert – räumte seinen Platz für den nächsten Schüler, damit der sich was aus den Fingern saugen konnte.
    Sagte sich, na ja.
    Wenn Gott Wert auf so was legt.
    Und dachte im selben Moment, dass Gott nicht den geringsten Wert darauf legte, weil es ihn gar nicht gab. Nicht geben konnte. Der prügelnde Priester hatte ihn erfunden. Warum? Um Macht zu erlangen. Eindeutig ging es darum. Macht. Und wie jeder, der nach Macht strebte, war auch dieser Priester bestechlich. Korrumpierbar durch Kinderlügen.
    Zum Totlachen.
    Nie im Leben würde Gott einen solchen Schwachkopf in seinem Namen schalten und walten lassen, der sich mit einer Sündenpreisliste in eine Kiste setzte, um Halbwüchsigen ein schlechtes Gewissen zu machen.
    Aber der Priester saß dadrin und tat genau das.
    Und Gott war eine Erfindung.
    Der Kampf um Macht, so viel war klar, wurde zugunsten desjenigen entschieden, der die beste Geschichte auf Lager hatte. Also beschloss Hagen, dass er derjenige sein würde.
    Er würde Geschichtenerzähler werden.
    Großartige Geschichten liefern.
    Er würde die Wahrheit erzählen.
     
    Sein Nacken knirscht, als er den Kopf weiter zurück biegt. Der Himmel saugt ihn ein. Schweiß überzieht seinen kahl rasierten Schädel. Er fährt mit der Rechten darüber hinweg, wischt die Finger an der Hose ab. Sofort kommt neue Flüssigkeit nach.
    Schicht um Schicht verdampft er in der Mittagssonne.
    Neben ihm bläst der Presseoffizier Luft durch die Backen.
    »Scheißhitze.«
    Hagen lächelt.
    Du Clown, denkt er. Ich wette, du hast letzten Monat noch in Potsdam gesessen und einen Schreibtischsessel vollgefurzt. Dort im Einsatzkommando biegen sich die Schultern unter Gold und Silber, nurdass keiner von denen je sein Leben verteidigen musste. Nie unter Beschuss lag. Sich nie fragen musste, ob sein nächster Schritt sein letzter sein wird, weil er auf eine verdammte Personenmine latscht. Ein Horror, der das Feldlager Kunduz schockgefrostet hat: Minen und Improvised Explosive Devices. Wer will schon als Torso in einem Rollstuhl landen oder als Überrest seiner selbst aus einem Spähpanzer gezogen werden, den eine IED gerade in einen Haufen qualmendes Blech verwandelt hat? Dann lieber eine Kugel. Ehrenhaft sterben, mit der Waffe in der Hand.
    Soldatenromantik?
    Nicht im Mindesten. Mag sein, dass sie hier Bruce Willis auf ihren Laptops gucken – »Was denn sonst, Mann, wir sind im Krieg, natürlich gucken wir Kriegsfilme!« –, aber im Grunde will jeder nur nach Hause. Kann er nicht. Also beginnt er darüber nachzudenken, was wäre, wenn.
    Wenn schon sterben, dann am liebsten –
    Die Wahrheit ist, dass die meisten auf irgendwas treten oder über irgendwas fahren, das explodiert.
    So wie vor zwei Tagen. District Chardara. Sprengfalle.
    Wie vor drei Wochen.
    Als Folge solcher Tragödien weiß jeder Gefreite am Hindukusch mehr vom Alltag des Tötens und Getötetwerdens und hat seinen eigenen Angstschweiß öfter gerochen als der komplette Generalstab im gemütlichen Deutschland, der seinerseits zu wissen meint, wie die Stationierten fühlen, welche Ausrüstung sie brauchen, was gut für sie ist und wie sie das aufsässige Kind Taliban zu schaukeln haben.
    Der ihnen erzählt, das hier sei kein Krieg.
    Es ist Krieg, denkt Hagen, und wenn ihr tausendmal behauptet, es wäre keiner. Und an Krieg gewöhnt man sich nie! An nichts, was er mit sich bringt.
    Man hat nur einfach keine Wahl.
    »Tal Gozar«, sagt er zu dem Presseoffizier. »Haben Sie noch mal darüber nachgedacht?«
    »Tut mir leid, Tom.«
    »Ich kenne das Risiko.«
    »Trotzdem.« Der Mann schüttelt den Kopf. »Ich kann das
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