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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug
Autoren: Marieke Pol
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in Richtung des Dreiergespanns.
    »Du bist seine Mutter, du musst ihn doch kennen.«
    Als würde Bob merken, dass es um ihn geht, dreht er sich um und sucht sie. Als er sie entdeckt, winkt er fröhlich herüber. Marjorie winkt zurück, verblüfft über Esthers Antwort. »Ich weiß es wirklich nicht«, sagt sie zögernd, »womit belasten wir ihn nur?«
    »Mit Betrug. Und einer toten Familie gratis dazu.«
    Sein ganzes Leben ist auf Lügen aufgebaut. Seine Erinnerungen wären unzuverlässig geworden. Er – der von nichts weiß – dreht sich zu seiner Tochter um und zieht sich die Jacke aus. Sein Rücken ist ein wenig gekrümmt, weil er viel Zeit über Zeichentische gebeugt verbringt. Aufrecht gehen, rufen Vera, seine Töchter und sie selbst ihm im Wechsel zu. Dann streckt er sich kurz, um dann sogleich wieder in seine natürliche Haltung zurückzufallen. Der leichte Knick in seinem Rücken rührt sie auf diese Entfernung, ein Zeichen für seine Verletzlichkeit.
    »Er sieht aus wie ein glücklicher Mensch«, sagt Esther, »das kannst du als Kompliment für dich verstehen.«
    »Er hat ein gutes Leben«, pflichtet sie ihr in bescheidenem Ton bei, während ihr Herz sich weitet. Neben ihr tritt Esther mit einem typischen Esther-Lachen die Zigarettenkippe zwischen den Kieseln auf dem Weg aus. »Vielleicht haben wir es nicht richtig gemacht«, sagt sie, »aber warum soll er dafür bezahlen müssen? Das ist einzig und allein unsere Sache.«
    Esther hat natürlich recht. Ein wunderbar nobles Gefühl durchströmt sie. Natürlich.
    »Also lassen wir es, wie es ist?«, fragt Esther feierlich, als würde sie ein Diplom verleihen. Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung nimmt Marjorie es in Empfang. Wider Erwarten bestanden.
    Während sie an den Weingärten entlangspaziert, schätzt sie sich selbst glücklich, dass sie nach Neuseeland gekommen ist. Auf eine Weise ist es gut, dass Frank gestorben ist, falls man so etwas überhaupt denken darf. Doch eine Frage brennt in ihrem Innersten.
    »Esther?«, setzt sie vorsichtig an.
    »Hm?«
    »Hast du es jemals bereut … unsere Abmachung?«
    Die Antwort kommt ohne Zögern: »Nein, niemals.«
    Das hatte sie nicht erwartet, und sie kann es nicht glauben.
    »Wirklich nicht?«
    Einen Moment herrscht Stille. Nun kommt es. Dann erklingt die tiefe, heisere Stimme, gemächlich und ruhig. »Wenn ich eines schon immer mit hundertprozentiger Sicherheit gewusst habe, dann ist es, dass ich mit Kindern nichts anfangen kann. Bedauerlich für mich, dass es so ist. Doch bereut habe ich es niemals.« Und wie um ihre Worte zu unterstreichen, wiederholt sie es noch einmal: »Wirklich niemals.«
    Marjorie hört aus der Antwort heraus, dass sie es tatsächlich so meint. Einen Moment lang erscheint vor ihrem inneren Auge ein blaues Haus. Doch sie hat keine Lust mehr, über all die Dinge nachzudenken. Für Menschen ihres Alters ist es ein unglaublich anstrengender Tag. All die Emotionen in dieser Hitze, und das ohne Mittagsschlaf. Man darf die Dinge auch nicht immer so an sich heranlassen. Einige Dinge sollte man lieber an sich abprallen lassen, wie Wassertropfen von fettiger Schafswolle. In einem Impuls von Dankbarkeit hakt sie ihren gesunden Arm bei Esther unter. So setzen sie ihren Weg fort – zwei in die Jahre gekommene Schicksalsgöttinnen, ihre faltigen Gesichter der Sonne zugewandt. Einen kurzen Moment lang wirken sie wie beste Freundinnen.
     
    Die Terrasse des Restaurants füllt sich mit den Gästen. Professionelle Hände haben, während Frank beerdigt worden ist, lautlos gearbeitet. Schalen mit Lachssandwichs und herzhaften Scones stehen auf den Tischen unter den Sonnenschirmen, in Weinkühlern wartet der Pinot Blanc. Etwas unbehaglich setzt man sich zu den anderen Leuten an die Tische. Der Abschied hängt noch in der Luft, die Wasserfontäne plätschert eintönig. Doch Kris läuft wie ein Gastgeber von Tisch zu Tisch und erklärt: Nach dem Begräbnis dürfen wir wieder feiern und lachen, schließlich ist jemand auf dem Weg in den Himmel! Ada schließt für einen Moment die Augen. Wenn es Dich gibt, lass ihn ein, Herr.
    Mozie zeigt voller Stolz auf Kris. »Das ist unser Enkel.« Er stößt die Worte schleppend hervor. Der dunkelbraune Samt seiner Augen ist zu verschlissener Baumwolle geworden, doch noch immer blitzt seine alte Fröhlichkeit hindurch. Neben Mozie sitzt die schweigsame Frau, die bei Frank gewacht hat. Ada gratuliert ihnen zu ihrem Enkelsohn. Das Gesicht der Frau legt sich in
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