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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug
Autoren: Marieke Pol
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laufen die Freitreppe hinauf. »Es hat in seinem Leben noch so einige Frauen gegeben, was?« Sie versucht, es so leichthin wie möglich zu sagen. Mozie verzieht sein Altmännergesicht zu einem Grinsen. »Ja, viele Frauen«, sagt er, »the lucky bastard, sie gaben sich die Klinke in die Hand. Ich bin mit einem Mädchen aus meinem Dorf verheiratet, so ist das eben. Aber er … manchmal überschnitten sich die Beziehungen, ohne dass sie davon wussten. Je älter er wurde, desto länger hielten die Beziehungen. Doch immer wieder kam der Tag, an dem die Frauen weinend den Hof verließen. Dann wusste ich, dass sie doch mit Heiraten und Kindern angefangen hatten.«
    »Warum wollte er das nicht?«
    »Er wollte es schon, das sagte er jedenfalls. Ich weiß es nicht. Sie waren nie gut genug. Die Frauen klopften an seine Tür, aber ich glaube nicht, dass er sie hereinließ. Die letzten Jahre ließ er keinen mehr an sich heran.«
    Er öffnet für sie die Tür zur Bibliothek. Unsichtbare Hände haben die Sessel wieder auf ihre Plätze geschoben, nachdem der Sarg abgeholt worden ist. Sie steuert direkt auf den Sekretär zu. Erst jetzt, wo Mozie dabei ist, traut sie sich nachzusehen, ob ihre Augen sie vorhin – als sie sich über den Sarg gebeugt hat – nicht getäuscht haben. Sie hat richtig gesehen: Ihr alter Schnappschuss vom Strand steht in einem silbernen Rahmen auf dem Sekretär.
    Er hat mich weiter angesehen.
    Vorsichtig nimmt sie das Bild in die Hände. Eine bildhübsche, junge Frau in einem Badeanzug, der ihre Figur in einer atemberaubenden Form betont. Verloren steht sie da, mitten auf dem Strand. Ihre blonden Haare wehen ihr ins Gesicht, sie lacht verlegen und nicht wirklich glücklich zu dem Fotografen hinüber. Ada sieht ihre Schönheit von damals, und ihr Talent für die Liebe, das ungenutzte Potenzial. Ich bin nicht die geworden, die ich hätte sein können.
    Mozie stellt sich neben sie. Sein Atmen klingt rau, als ob er Probleme mit den Lungen hätte. Sie stellt das Foto wieder hin, neben das vergilbte Bild von seinem Vater und seiner Mutter, mit ihren zwei Kindern in Indonesien. Die Palme in dem kupfernen Topf, die ernsten Gesichter, der kleine Junge, der unbefangen in die Linse schaut, weil er nicht weiß, was drohend über seinem Kopf schwebt. In diesem Zimmer, in dieser Bibliothek, stehen seine alten Möbel, hier hängen die Maske und das geheimnisvolle Ölbild. Nur das knirschende Ledersofa fehlt. Hier schlug einst das Herz seines Hauses. Hier sieht sie ihn vor sich, umringt von den Menschen, die ihn – einer nach dem anderen – im Stich gelassen haben. Sie senkt den Kopf und kann nichts sagen. Er legt seine Hand auf ihre Schulter. »Es hat ihn kaputt gemacht, Ada«, sagt er, »es hat lange gedauert. Ich habe ihn danach nie wieder so gesehen.«
    Es tut weh. Sie reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht, als müsste sie etwas fortwischen. »Ich konnte es nicht«, flüstert sie, »ich hatte nicht den Mut.« Er wartet geduldig. Und dann, als könnte er ihre Gedanken lesen, sagt er ernst: »Er hat immer geglaubt, dass es mit dir geklappt hätte.«
    Es tut weh.
    »Denkst du das auch?«, fragt sie etwas später, als sie in dem Geländewagen zurück zum Restaurant fahren. Der Wagen schwirrt fast lautlos dahin. Mozie klopft sanft auf ihr Knie, um sie zu trösten. »Es war eben nicht möglich«, sagt er. Und danach, als er sie bei der Terrasse absetzt, wo Bob für sie einen Stuhl zurückschiebt und Esther ihr Glas nachschenkt, wiederholt er es noch einmal: Es war eben nicht möglich.
    Dann verabschiedet er sich von ihr. Er ist müde und möchte sich ausruhen. Ada sieht ihm nach, dem alten, braunen Cowboy. Wie er zu seiner Frau läuft, die am Auto auf ihn wartet. Er ist der Einzige, der all die Jahre mit Frank zusammengelebt hat. Ada weiß, dass sie auch ihn nie wiedersehen wird.
     
    Zum ersten Mal seit vier Jahren, seit Hans’ Tod, fühlt Marjorie sich entspannt. Hier, unter der mit Weinranken bewachsenen Pergola, die das Sonnenlicht so angenehm filtern, dass die Gäste im Tupfenregen von Licht und Schatten sitzen. Der Pinot Noir schmeckt köstlich, und die Platte mit den Sandwichs ist zufällig direkt vor ihrer Nase gelandet. Ihr ist nicht mehr so warm, eigentlich ist die Temperatur an diesem Nachmittag genau, wie sie sein sollte. Bei Marjorie am Tisch sitzt ihr Sohn, der ihr Sohn bleiben wird. Und ihre Enkeltochter, die die ganze Gesellschaft mit ihren neugierigen Fragen zur Vergangenheit unterhält.
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