Braut der Nacht
gegen die grauen Ellbogen meines Mantels.
»Tatius wird deinen gegenwärtigen Zustand nicht gutheißen. Er hatte befohlen, dass du dich nährst. Du brauchst Blut, bevor wir gehen.«
Ich verkrampfte die Hände, dass meine Finger sich in meine Arme gruben, bis der Schmerz zu kleinen roten Punkten wurde, auf die ich mich konzentrieren konnte. Ich wollte schreien, mit den Füßen aufstampfen. Ich hatte heute Nacht nicht nur einmal, sondern zweimal gejagt. Kann er denn nicht zufrieden sein mit … Ich schnitt diesen Gedanken ab.
Mit einem tiefen Atemzug füllte ich meine Lungen mit dem Geruch der Nacht, der nahen Wälder, dem würzigen Duft von Nathanials Haut. Ich holte Luft, bis sich meine Lungenflügel gegen die Rippen drängten und mein Zwerchfell dehnten. Dann ließ ich die ganze Luft aus mir herausströmen, leerte meinen Körper von jedem Hauch, jedem Geruch, jedem Atemzug. Wenn ich schrie, würde Nathanial nur warten, bis ich damit aufhörte. Wenn ich davonlief, würde er mir folgen. Wenn ich auf irgendetwas einschlug, würde es kaputtgehen. Also stand ich einfach nur da, vollkommen regungslos, vollkommen leer.
Die Maske glitt von Nathanials Miene, als sein Blick wärmer wurde, und um einen seiner Mundwinkel zuckte es, als habe ich ihn amüsiert. Was denn? Hatte er erwartet, dass ich einen Wutanfall haben würde? Wahrscheinlich.
Doch das würde ich nicht. Nicht dieses Mal.
»Ich war jagen. Es geht mir gut.«
Nathanial kam näher, bis er meinen persönlichen Freiraum völlig ausfüllte. Er war kein großer Mann, aber seine Gegenwart, vielleicht sogar seine Macht, hüllte mich ein. Sanft zeichnete er die Kontur meines Gesichts nach, während er mich musterte, und mein Herzschlag beschleunigte sich. Es war, als rufe seine Berührung ein mädchenhaftes, schwindliges Gefühl tief aus meinem Innern an die Oberfläche, das mich gegen meinen Willen lächeln lassen wollte. Konzentrier dich, Kita!
»Es geht mir gut. Mir ist nicht einmal kalt.« Nicht sehr zumindest, doch das fügte ich nicht hinzu.
»Du siehst abgespannt aus, müde.«
Mann, hört das denn nicht jedes Mädchen gern? Ich wich ein wenig vor ihm zurück, obwohl es sich anfühlte, als verlöre ich einen Teil meines Selbst, als ich mich seiner Berührung entzog. »Lass uns einfach gehen.«
»Du brauchst Blut. Blut, das nicht von einem Tier stammt. Nimm es von mir.« Er hob den Arm, aber ich packte ihn am Handgelenk, bevor er sich eine Ader öffnen konnte.
»Nein.« Blut von ihm zu nehmen, war zu merkwürdig, zu intim. Und er war auch so schon zu… alles Mögliche. Schon allein die Vorstellung ließ mir heiße Röte in die Wangen steigen. Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Ich war in diesen letzten zwei Wochen geduldig. Ich habe es dich versuchen lassen, von Tieren zu überleben. Ich habe dich nie gezwungen…«
»Dann fang jetzt auch nicht damit an.«
Wir standen uns dicht genug gegenüber, dass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen sehen zu können, dennoch wagte ich es nicht, den Blick abzuwenden, während er mich musterte. Das Schweigen dehnte sich zwischen uns aus und wurde schneidend. Dann schüttelte er den Kopf, und ein tiefes, leises Lachen stieg aus seiner Brust empor.
»Wenn Macht allein durch innere Einstellung bestimmt würde…« Er strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte. »Oder Verdrängung.«
»Ich verdränge nicht.« Ich schnaubte leise vor mich hin, was Nathanials Mundwinkel nur noch stärker zucken ließ.
»Natürlich.« Er schlang mir die Arme um die Taille und zog mich enger an sich, sodass sein Duft mich einhüllte. »Tatius wird wollen, dass du die Ereignisse des Abends noch einmal erzählst. Bitte pass auf, was du sagst.« Die letzten Worte flüsterte er in mein Haar, wobei die Belustigung in seiner Stimme verblasste.
Dann waren wir in der Luft, und die kleine Blockhütte verschwand unter uns, während wir zum Vampirrat rasten.
Kapitel 5
W iderstrebend schlurfte ich durch die unterirdischen Räume des Death’s Angel. Ich hatte es ganz gewiss nicht eilig, zur Ratskammer zu gelangen. Natürlich konnte ich mir nicht ewig Zeit lassen, besonders nicht, da Nathanial mich unablässig vorwärtsdrängte, während Anaya vor uns durch den dunklen Gang schlenderte. Sie und Clive hatten schon voll schadenfroher Vorfreude auf uns gewartet, als wir am Klub ankamen, damit sie uns zu Tatius bringen konnten.
Vor einer Doppeltür hielt Anaya an. Ich erwartete, dass sie anklopfen würde. Doch
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