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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien
Autoren: John Updike
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Teenager waren, lauschten mit offenen Mäulern, verzaubert von den phantastischen Vermutungen, die die Mädchen, bis zum Tränenlachen belustigt, zusammenspannen.
    Bei der Schilderung ihrer klösterlichen Schule hatten sie ein verbotenes Radiogerät erwähnt, das eine der Nonnen beschlagnahmt hatte, was Tristão die Gelegenheit gab, sein Wissen über Samba und Choro, über Forró und Bossa Nova und über die Stars – Caetano, Gil und Chico – einzuflechten, die jeder dieser Musikstile hervorgebracht hatte. Der ganze elektronische Himmel über ihnen, in dem Sänger und Seifenopernstars und Fußballhelden und die Superreichen wie flitterbunte Engel herumschwebten, senkte sich herab und wurde zu einem gemeinsamen Grund, auf dem sie standen. Funken von Liebe und Haß, die leidenschaftlichen Urteile der Jugend, flogen zwischen den vieren hin und her, die in ihrer Ferne von jener Welt so gleich waren wie in ihrem Besitz eines Körpers, zu dem vier Gliedmaßen, ein Augenpaar und eine grenzenlose Haut gehörten. Wie fromme Bauern aus der Alten Welt glaubten sie daran, daß dieser Himmel, der ihnen seine Neuigkeiten auf unsichtbaren Ätherwellen übermittelte, sein beseeltes, lächelndes Gesicht jedem einzelnen von ihnen ganz persönlich zuwandte, so wie die unfaßbare Kuppel des blauen Himmels sich exakt über jeden wölbt, der seinen Blick nach oben richtet.
    Die Hitze des Sandes durchglühte sie von unten; eine unwiderstehliche Trägheit ließ das Gespräch langsam verebben. Als sich Euclides und Eudóxia zögernd, jedoch gleichzeitig erhoben und zum Wasser hinuntergingen, um zu schwimmen, ließen sie die beiden anderen in angespanntem Schweigen zurück. Isabel streckte ihre Hand, an welcher der geraubte Ring glitzerte, nach der Innenfläche seiner Hand aus, die hell war wie Silberpolitur. «Willst du mit mir kommen?»
    «Ja. Immer», sagte Tristão.
    «Dann komm.»
    «Jetzt?»
    «Jetzt ist die Zeit», sagte sie und blickte mit ihren blaugrauen Augen in die seinen, während sie ihre volle Oberlippe ernst und nachdenklich schürzte, «für uns.»

2. Das Appartement
    Isabel hatte ein hauchdünnes Strandkleid in einem Maracujafarbton bei sich, das sie jedoch nicht anzog, als sie den Strand verließ. Sie streifte nur dünne weiße Ledersandalen über, als sie den berühmten Bürgersteig der Avenida Atlântica mit seinem geschwungenen, schwarzweißen Mosaikmuster betrat. Das Kleid und ihr Badetuch trug sie zusammengerollt im angewinkelten linken Arm, so daß mindestens ein Passant einen Seitenblick nach unten warf, wo er ein in fröhliches Bunt gewickeltes Baby vermutete. Ihr dunkler Strohhut – so dunkel, als wäre er mit dem Saft von Genipapo -Beeren gefärbt – schwebte vor Tristão wie eine fliegende Untertasse, die freien Enden des schwarzen Bandes flatterten. Sie bewegte sich rascher, in einer sportlicheren Gangart, als er erwartet hatte, so daß er Wechselschritte und Sprünge einlegen mußte, um nicht den Anschluß zu verlieren. Sein Gefühl für Schicklichkeit hatte ihn veranlaßt, sein sandiges T-Shirt mit dem LONE-STAR-Aufdruck anzuziehen; seine zerfledderten blauen Gummischlappen, die er unter dem zählebigen kleinen Strauch hervorgeholt hatte, schlugen lose gegen seine Sohlen.
    Das bleiche Mädchen, das die Länge seiner bloßen Beine um so größer erscheinen ließ, bewegte sich mit der blinden Zielstrebigkeit einer Schlafwandlerin, als könnte ein Augenblick des Zögerns ihre Entschlossenheit zunichte machen. Sie marschierte in südlicher Richtung, auf das Fort zu, dann schwenkte sie nach rechts in eine Straße ein, die nach Ipanema führte – die Avenida Rainha Elisabete oder die Rua Joaquim Nabuco, er war zu abgelenkt oder zu ängstlich, um es zu registrieren. Dort, im Schatten von Gebäuden und Bäumen, zwischen Geschäften und Restaurants und den verspiegelten Aluminiumfassaden der Banken, wo Portiers und Wachmänner in Uniform auf Posten standen, schimmerte ihre fast völlige Nacktheit noch unheimlicher und zog noch mehr verstohlene Blicke auf sich. Tristão rückte näher, um sie zu beschützen, doch angesichts ihrer tranceartigen Unbeirrbarkeit, in der sich ihre Hand eiskalt anfühlte, kam er sich fremd und tolpatschig vor. In dieser Welt von Appartementhäusern und bewachten Straßen war sie seine Führerin. Jetzt bog sie unter einem kastanienbraunen Baldachin mit einer Hausnummer in ein dunkles Foyer ein, wo ein Japaner hinter einem Empfangspult aus schwarzem, grüngeädertem Marmor überrascht die
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