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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien
Autoren: John Updike
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eng anlag, daß sich die kompakte Wölbung seines Geschlechts abzeichnete, trug er in der kleinen Tasche, die für Münzen oder einen Schlüssel vorgesehen war, eine einschneidige Rasierklinge der Marke Diamant bei sich, die in einem Stück dicken Leders steckte, das er vorsichtig aufgeschlitzt hatte. Seine blauen Gummischlappen aus Taiwan hatte er unter einem Stranderbsenstrauch am Rand des Bürgersteigs versteckt.
    Und außerdem, erinnerte er sich, besaß er noch einen weiteren Schatz: einen Ring, den er einer ältlichen amerikanischen Touristin vom Finger gerissen hatte, messingfarben, mit den Buchstaben DAR in einem kleinen Oval – drei Buchstaben, die ihn immer aufs neue verblüfften, denn sie bedeuteten «schenken». Jetzt wollte er diesen Ring der bleichen Schönheit schenken, deren Haut, während er näher kam, stolze Angst und Abwehr ausstrahlte. Obwohl sie aus der Ferne groß wirkte, war Tristão um eine Handbreit größer. Ein Duft, der von ihrer Haut ausging – die Sonnenmilch oder eine Ausdünstung ihrer Überraschung und ihrer Angst –, brachte ihm den Geruch des mütterlichen Sumpfs zurück, einen schwachen, leicht medizinischen Geruch aus einer Zeit, als er mit Fieber oder Würmern krank in der fensterlosen Dunkelheit ihrer Hütte in der favela gelegen hatte und seine Mutter, noch nicht vom Alkohol verwüstet, noch eine Quelle der Barmherzigkeit, ein einhüllender Mantel von Fürsorge gewesen war. Sie mußte die Arznei von dem Missionsarzt unten am Fuß des Hügels erbettelt haben, wo jenseits der Straßenbahnschienen die Siedlungen der Reichen begannen. Seine Mutter war damals selbst noch fast ein Mädchen, so fest im Fleisch wie dieses hier, wenn auch ohne solche ranken Glieder, und er, er mußte eine Miniaturausgabe seiner selbst gewesen sein, mit Füßen und Händen, die fett waren wie aufgehende kleine Brotlaibe, und mit Augen, die wie kleine schwarze Perlen aus seinem Schädel strahlten. Aber das lag außerhalb der Erinnerung, dieser Augenblick, der den köstlichen, sanften Duft gespendet hatte, welcher ihn erfüllte wie ein schläfriger Schrei. Jetzt erwachte er, hier in dieser sonnigen, salzigen Luft, windwärts vom Leib dieses schönen Püppchens.
    Gegen einen leichten Widerstand seiner feuchten, vom Meerwasser runzlig gewordenen Haut zog er den Ring von seinem kleinen Finger, auf den er genau paßte. Die alte Gringa mit dem lockigen, blaugefärbten Haar hatte ihn an dem Finger getragen, auf den der Ehering gehört hätte, an der anderen Hand. Er hatte sie unter einer kaputten Straßenlaterne in Cinelândia erwischt, während sich ihr Ehemann in das Schaufenster eines Nachtklubs um die Ecke vertiefte, das voller Fotos von Mulattentänzerinnen hing. Als er ihr die Rasierklinge gegen die Wange preßte, wurde sie schlaff, als wäre sie selbst eine Hure, diese alte, blauhaarige Gringa, die nur noch wenige Jahre von der Grube trennten und die gleichwohl den größten Horror vor einem Kratzer in ihrem faltigen Gesicht hatte. Während Euclides die Tragegurte ihrer Handtasche durchtrennte, zog ihr Tristão den messingfarbenen Ring herunter, und für einen Augenblick verschlangen sich ihre Hände wie die Hände von Liebenden. Und jetzt streckte er diesen Ring dem fremden Mädchen entgegen. Ihr Gesicht hatte im Schatten des schwarzen Hutes etwas von einem Äffchen, wölbte sich über dem kräftigen Gebiß, das zu lächeln schien, auch wenn ihre Lippen, so wie jetzt, weit von einem Lächeln entfernt waren. Voll waren diese Lippen, vor allem die obere.
    «Darf ich Ihnen dieses unbedeutende Geschenk überreichen, Senhorita?»
    «Warum sollten Sie, Senhor?» Auch die Höflichkeit dieser Anrede hatte etwas von einem Lächeln, obwohl der Augenblick gespannt war und ihre untersetzte Begleiterin beunruhigt wirkte, eine Hand schützend vor die Brüste im Bikini-Oberteil legte, als wären sie Kostbarkeiten, die gestohlen werden sollten. Aber es waren nur braune Säcke voll Glibber, von keinem größeren Wert als dem gewöhnlichsten, die Tristãos unverwandten Blick für keine Sekunde abzulenken vermochten.
    «Weil Sie schön sind und, was seltener ist, sich Ihrer Schönheit nicht schämen.»
    «Sich zu schämen ist nicht der Stil der Zeit.»
    «Und doch schämen sich viele Frauen noch immer. Zum Beispiel Ihre Freundin hier, die ihre schweren Kelche verbirgt.» Die Augen des minderen Mädchens blitzten, doch als sie einen Seitenblick auf Euclides warf, fiel ihre Empörung in sich zusammen, und sie mußte
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