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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache
Autoren: Connie Willis
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das
noch lange nicht, daß dir nichts zustoßen kann.
Während der gesamten Heimfahrt in der U-Bahn las ich
Geschichtsbücher, ich hörte erst auf zu lesen, als mich
heute früh Dunworthys Lakaien abholten, um mich nach St.
John’s Wood zu bringen.
    Ich schob mir den Mikrofilm mit dem OEL in die
Gesäßtasche und brach mit einem Gefühl auf, als
könnte ich nur überleben, indem ich mich auf meine eigene
Findigkeit verließ. Hoffentlich, dachte ich, kann ich mir 1940
irgendwelche Surrogate verschaffen. Ich hatte fest damit gerechnet,
den ersten Tag ohne Panne zu überstehen; und nun stand ich da,
bereits durch die ersten Worte aus dem Konzept gebracht, die man zu
mir gesprochen hatte. Nein, das stimmte nicht ganz. Entgegen Kivrins
Rat, gar nichts im Kurzzeitgedächtnis zu speichern, hatte ich
mir das Britische Geld eingeprägt, einen Plan des U-Bahn-Netzes
und den Plan meines heimischen Oxford. Bis hierher war ich damit
gekommen. Mit dem Dekan mußte ich doch wohl auch noch
fertigwerden.
    Just in dem Moment, da ich mir ein Herz fassen und anklopfen
wollte, öffnete er von innen die Tür, und wie es mit dem
Präzisionsgerät zum Fixieren nun mal ist, lief alles ganz
rasch und schmerzlos ab. Ich gab ihm den Brief, er schüttelte
mir die Hand und sagte etwas, das klang wie: »Schön,
daß Sie hier sind, Bartholomew.« Er sah müde und
abgespannt aus, so als könnte er zusammenbrechen, wenn ich ihm
sagte, der Blitzkrieg habe soeben begonnen. Ich weiß, ich
weiß: Mund halten! Das heilige Schweigen und so weiter.
    Er sagte: »Wir suchen Langby, damit er Ihnen alles
zeigt.« Ich nahm an, er meinte meinen Hüter des Kissens,
und so war es. Wir trafen ihn am Fuß der Treppe, er war ein
wenig außer Atem, aber er triumphierte.
    »Die Feldbetten sind gekommen«, wandte er sich an Dekan
Matthews. »Die führten sich auf, als ob sie uns noch einen
Gefallen täten. Stöckelschuhe und ganz etepetete.
›Deinetwegen haben wir unseren Tee versäumt,
Herzchen‹, flötete eine. ›Seid doch froh‹, habe
ich gesagt. ›Ihr seht aus, als täte euch ein bißchen
Abspecken ganz gut.‹«
    Der Dekan machte ein Gesicht, als ob er auch nicht ganz
verstünde. Er erwiderte: »Haben Sie sie in der Krypta
aufgestellt?« Dann machte er uns miteinander bekannt. »Mr.
Bartholomew ist soeben aus Wales eingetroffen«, sagte er.
»Er will sich unseren Freiwilligen anschließen.«
Freiwillige, nicht Brandwache.
    Langby führte mich herum, machte mich auf verschiedene
schemenhafte Umrisse in der Finsternis aufmerksam, dann schleppte er
mich nach unten, damit ich mir die zehn zusammenfaltbaren Betten aus
Segeltuch ansah, die zwischen den Gräbern in der Krypta
aufgestellt waren. Im Vorbeigehen zeigte er mir Lord Nelsons
Sarkophag aus schwarzem Marmor. Er sagte mir, in der ersten Nacht
brauche ich nicht auf Wache zu stehen, und er riet mir, ich solle
mich auf ein Bett legen, denn bei Luftangriffen sei Schlaf der
größte Luxus. Das glaubte ich ihm gern. Er umarmte immer
noch das blöde Kissen, als sei es seine Geliebte.
    »Hört man die Sirenen bis hier unten?« fragte ich
und stellte mir vor, wie er sich dann das Kissen über den Kopf
zog.
    Er hob den Blick zu dem steinernen Deckengewölbe.
»Manche hören sie, manche nicht. Brinton hilft nur Horlich.
Bence-Jones würde nicht mal aufwachen, wenn ihm die Decke
über dem Kopf einstürzte. Ich muß ein Kissen haben.
Das wichtigste ist, daß man seine acht Stunden bekommt, egal,
wie. Wenn man das versäumt, wird man eine wandelnde Leiche. Und
dann ist man schon so gut wie tot.«
    Nach dieser trostreichen Mitteilung entfernte er sich, um die
Nachtwachen einzuteilen. Das Kissen ließ er auf einem Feldbett
zurück und schärfte mir ein, es ja von niemand
berühren zu lassen. Hier sitze ich nun, warte auf meinen ersten
Fliegeralarm und versuche mich zurechtzufinden, ehe ich zu einer
wandelnden oder nichtwandelnden Leiche werde.
    Mit Hilfe des gestohlenen OEL übersetzte ich ein
bißchen Langby. Mäßiger Erfolg. Eine Schnepfe ist
entweder ein Vogel oder eine Prostituierte (ich vermute letzteres,
obwohl ich mich mit dem Kissen geirrt hatte). Bourgeois ist ein
saloppes Eigenschaftswort für alle möglichen Schwächen
des Mittelstands. Ein Tommy ist ein Soldat. Zetvaudee fand ich
nirgends, und ich hatte das Suchen schon fast aufgegeben, als sich in
meinem Langzeitgedächtnis etwas über den Gebrauch von
Kunstwörtern und Abkürzungen während des Krieges regte
(sei gesegnet, heilige Kivrin!) und ich auf die Idee
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