Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache
Autoren: Connie Willis
Vom Netzwerk:
Dächern tauchte Langby nicht auf, deshalb
suchte ich ihn in der Kirche. Ich fand ihn, wie er am Westportal
stand und sich mit einem alten Mann unterhielt. Der Mann hatte eine
Zeitung unter den Arm geklemmt, die er Langby geben wollte, doch
Langby reichte sie ihm zurück. Als der Mann mich sah,
verdrückte er sich. Langby sagte: »Ein Tourist. Wollte
wissen, wo das Windmill-Theater ist. Er hatte in der Zeitung gelesen,
daß da Nackttänzerinnen auftreten.«
    Ich muß ein skeptisches Gesicht gemacht haben, denn er fuhr
fort: »Du siehst hundeelend aus, alter Junge. Kriegst wohl zu
wenig Schlaf mit, wie? Ich sage jemandem Bescheid, daß er heute
nacht deine erste Wache übernimmt.«
    »Nein«, entgegnete ich kühl. »Ich gehe auf
Wache, wie abgemacht. Es gefällt mir oben auf
Dächern.« Im stillen setze ich hinzu, weil ich dich da
beobachten kann.
    Er zuckte mit den Schultern. »Ist vielleicht wirklich besser
als unten in der Krypta. Auf den Dächern sieht man wenigstens
die Bombe, die einen erwischt.«

10. Oktober
    Ich hatte gehofft, die doppelte Wache täte mir gut,
würde mich davon ablenken, daß ich nicht memorieren kann.
So wie immer dann etwas passiert, wenn man mal nicht aufpaßt.
Manchmal klappt es ja wirklich. Ein paar Stunden völliges
Abschalten oder mal eine Nacht gut durchschlafen, und die Fakten
fallen einem ein, ohne daß man sich durch Meditation oder
Surrogate stimulieren müßte.
    Eine Nacht durchschlafen ist natürlich unmöglich. Nicht
nur, weil die Putzfrauen fortwährend miteinander flüstern,
auch der Kater ist mittlerweile zu uns in die Krypta gezogen. Er
streicht um jeden herum, gibt schmeichelnde Laute von sich und
bettelt um Heringe. Bevor ich meine Wache antrete, rücke ich in
mein Feldbett vom Querschiff, wo es bis jetzt stand, zu Nelson
hinüber. Von mir aus kann er in Alkohol liegen, aber er
hält wenigstens den Mund.

11. Oktober
    Ich träumte von Trafalgar, Schiffskanonen, Rauch,
niederfallendem Verputz und Langby, der meinen Namen rief. Beim
Aufwachen war mein erster Gedanke: Die Klappstühle sind
zusammengekracht. Vor lauter Rauch konnte ich nichts erkennen.
    »Ich komme«, sagte ich, stolperte auf Langby zu und zog
mir dabei die Stiefel an. Im Querschiff türmten sich in einem
wilden Durcheinander Klappstühle und Verputz, der von der Decke
gefallen war. Langby grub darin herum. »Bartholomew!«
brüllte er, während er einen Brocken zur Seite schleuderte.
»Bartholomew!«
    Ich glaubte immer noch, es sei Rauch. Ich rannte zurück, um
meine Handpumpe zu holen, dann ging ich neben ihm in die Knie und
zerrte an einer zersplitterten Stuhllehne. Sie hatte sich festgehakt,
und plötzlich wußte ich: Da drunter liegt jemand. Ich will
nach einem Stück von der Decke greifen und merke, daß es
eine Hand ist. Ich lehne mich zurück, hocke mich auf die Fersen
und kämpfe gegen den Brechreiz an. Dann attackiere ich den
Schutthaufen von neuem.
    Langby wühlte herum wie ein Wahnsinniger, mit einem Stuhlbein
stocherte er in dem Haufen. Ich wollte seine Hände festhalten,
damit er aufhörte, doch er wehrte sich gegen mich, als sei ich
ein Stück Verputz, das man fortschleudert. Er hob eine
große, quadratische Platte auf, die aus der Decke gebrochen
war, und darunter befand sich der Fußboden. Ich drehte mich um
und schaute hinter mich. Die beiden Putzfrauen hockten
zusammengekauert in der Nische hinter dem Altar. »Wen suchst
du?« fragte ich und hielt Langby am Arm fest.
    »Bartholomew«, sagte er und fegte den Schutt zur Seite.
Seine wie mit Rauch bestäubten Hände bluteten.
    »Ich bin doch hier«, sagte ich. »Mir ist nichts
passiert.« Der weiße Staub, der in der Luft schwebte,
brachte mich zum Husten. »Ich habe mein Feldbett aus dem
Querschiff gerückt.«
    Mit einem Ruck wandte er sich an die Putzfrauen und fragte:
    »Was liegt hier drunter?«
    »Bloß der Gaskocher«, antwortete eine
schüchtern aus ihrer dunklen Ecke. »Und Mrs. Galbraiths
Taschenbuch.«
    Er wühlte so lange in dem Schutthaufen, bis er beides fand.
Aus dem Kocher entströmte Gas, die Flamme war erloschen.
    »Also hast du uns und St. Paul doch gerettet«, sagte
ich. Ich stand da in Unterwäsche und Stiefeln, in der Hand die
überflüssige Pumpe. »Wir hätten alle an
Gasvergiftung sterben können.«
    Er erhob sich aus seiner gebückten Haltung. »Ich
hätte dich nicht retten sollen«, sagte er.
    Erstes Stadium: Schockzustand, Abgestumpftheit, Verletzungen
werden nicht bemerkt, unzusammenhängendes Gestammel. Er
wußte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher