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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache
Autoren: Connie Willis
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vermutlich
derjenige, der sich entlarvt. Ich muß unbedingt meinen
Erinnerungsspeicher aktivieren, damit die richtigen Informationen
kommen.
    Bis dahin werde ich Langby im Auge behalten. Wenigstens
vorläufig dürfte mir das nicht schwerfallen. Langby hat
soeben die Wachen für die nächsten zwei Wochen eingeteilt.
Wir sind in jeder Schicht zusammen.

30. September
    Ich weiß jetzt, was im September passiert ist. Langby hat es
mir erzählt.
    Vergangene Nacht, als wir uns auf der Empore Mäntel und
Stiefel anzogen, sagte er: »Sie haben es nämlich schon
einmal versucht, weißt du.«
    Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach. Ich kam mir
genauso hilflos vor wie am ersten Tag, als er mich fragte, ob ich vom
Zetvaudee sei.
    »Sie wollen St. Paul zerstören. Einmal haben sie es
schon versucht. Am zehnten September. Mit einer hochexplosiven
Sprengbombe. Aber das kannst du natürlich nicht wissen. Du warst
ja in Wales.«
    Ich hörte gar nicht mehr zu. In dem Moment, als er
›hochexplosive Sprengbombe‹ sagte, war plötzlich alles
da. Ich erinnerte mich. Die Bombe hatte die Straße
durchschlagen und war auf den Fundamenten gelandet. Die Gruppe zur
Entschärfung unexplodierter Bomben hatte versucht, sie zu
entschärfen, es funktionierte aber nicht, weil sich ganz in der
Nähe eine undichte Gasleitung befand. Man beschloß, St.
Paul zu räumen, doch Dekan Matthews weigerte sich, sich
evakuieren zu lassen. Zum Schluß holte man die Bombe raus und
ließ sie in Barking Marshes hochgehen. Spontanes und
vollständiges Gedächtnisanzapfen.
    »Damals wurde St. Paul durch die Burschen vom
Bombenentschärfungstrupp gerettet«, sagte Langby.
»Anscheinend ist immer jemand da, der im letzten Moment
eingreift.«
    »Ja«, erwiderte ich, »das mag stimmen.«

1. Oktober
    Ich hatte angenommen, der Fall von spontanem Memorieren gestern
abend – als ich mich an die Ereignisse vom 10. September
erinnerte – sei eine Art Durchbruch gewesen, doch offenbar habe
ich mich geirrt. Fast die ganze Nacht lang lag ich wach auf meinem
Feldbett und versuchte mich zu erinnern, doch es kam nichts.
Muß ich erst ganz genau wissen, wonach ich suche, ehe mir die
Erinnerung bewußt wird? Was nützt mir dann das Ganze?
    Vielleicht ist Langby gar kein Nazi-Spion. Doch was ist er dann?
Ein Brandstifter? Ein Verrückter? Die Krypta fördert nicht
gerade das Nachdenken, denn hier herrscht keineswegs Grabesstille.
Die Putzfrauen unterhalten sich beinahe unentwegt, und das
Explodieren der Bomben hört man hier unten gedämpft, was
irgendwie noch schlimmer ist, denn ich ertappe mich dabei, wie ich
angestrengt lausche. Als ich gegen Morgen endlich einschlief,
träumte ich, einer der Schutzräume der U-Bahn sei
getroffen. Ich sah geborstene Wasserrohre, Menschen, die
ertranken.

4. Oktober
    Heute habe ich versucht, den Kater zu fangen. Er sollte die Maus
fressen, die die Putzfrauen ständig erschreckt. Außerdem
wollte ich mir so ein Tier mal aus der Nähe ansehen. Ich holte
den Wassereimer, den ich gestern nacht für die Handpumpe
gebraucht hatte, um ein brennendes Schrapnell aus einem der
Flakgeschütze zu löschen. In dem Eimer befand sich noch ein
bißchen Wasser, aber nicht soviel, daß der Kater
hätte ertrinken können. Ich hatte vor, ihm den Eimer
überzustülpen, ihn dann darunter hervorzuholen, hinunter in
die Krypta zu tragen und ihn auf die Maus anzusetzen. Er ließ
mich nicht mal in seine Nähe kommen.
    Ich schwenkte den Eimer, und dabei muß etwas Wasser
herausgespritzt sein. Ich hatte mir eingebildet, mich zu erinnern,
Katzen seien Haustiere, doch ich muß mich wohl getäuscht
haben. Das breite, gemütliche Gesicht des Katers verzerrte sich
zu einer wütenden Fratze. Es war erschreckend. Aus den Pfoten,
die ich für harmlos gehalten hatte, schossen gefährliche
Krallen, und der Kater stieß einen Laut aus, der noch schriller
war als das Gekreisch der Putzfrauen.
    Vor Schreck ließ ich den Eimer fallen, der gegen eine
Säule rollte. Der Kater suchte das Weite. Hinter mir hörte
ich Langby sagen: »So fängt man doch keine Katze.«
    »Das habe ich gemerkt«, gab ich zurück und
bückte mich nach dem Eimer.
    »Katzen sind wasserscheu«, fuhr er im gleichen flachen
Tonfall fort.
    »Ach«, machte ich und rüstete mich, den Eimer
wieder auf die Empore zu tragen. »Das wußte ich
nicht.«
    »Das weiß doch jeder. Sogar die Einfaltspinsel aus
Wales.«

8. Oktober
    Seit einer Woche haben wir die Wachen verdoppelt – es ist
Vollmond. Auf den
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