Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
wo.
Aber dann war auf der Straße das Auto angesprungen, und sie hatte es gewagt, aus dem Fenster neben der Haustür zu gucken. Den Mann hatte sie nicht erkennen können, nur das Auto. Ein roter Golf. Einer wie der, mit dem neulich die beiden merkwürdigen Polizisten da gewesen waren.
»Was hat das alles zu bedeuten, Arnold?« Sie sah fragend zu ihrem Mann auf. »Was wollte der von dir?«
»Keine Ahnung.« Möhles Hand drückte die Schulter seiner Frau, als wolle er sie zum Schweigen bringen.
Baring zerrte an seiner Krawatte und löste den oberen Hemdknopf wie immer, wenn er schwitzte.
Ehmke zog die Augenbrauen zusammen und sah zu Rohrbach hinüber.
Ein paar Männer hasteten hinaus auf die Straße, die menschenleer in der heraufziehenden Dämmerung lag. Trotzdem, schlugen sie vor, sollte ein Suchtrupp zusammengestellt werden. Nicht, dass der Kerl sich irgendwo versteckte, um im Schutz der Dunkelheit zurückzukommen.
Ehmke sollte das Ganze koordinieren. Als Fachmann wusste er besser als alle anderen, was zu tun war, und würde am ehesten den Überblick behalten.
Die Frauen sorgten sich um Haus und Hof und daheimgebliebene Kinder und verlangten, dass alle gemeinsam nach Hause gingen, weil das der beste Schutz gegen randalierende Verrückte sei. Außerdem könnten die Männer sich bei der Gelegenheit umziehen. Schließlich seien Beerdigungsanzüge als Bekleidung für Suchtrupps vollkommen ungeeignet.
Auch Sabine war aufgestanden und drängte die Mädchen, sich zu beeilen. Erst als sie schon ihren Mantel anhatte, fiel ihr auf, dass Rohrbach als Einziger auf seinem Platz geblieben war.
»Jetzt komm endlich«, herrschte sie ihn an. »Die anderen werden nicht auf dich warten.«
»Brauchen sie auch nicht«, sagte er. »Ich bleibe noch ein bisschen hier sitzen, dann komme ich nach.«
»Allein?« Sie klang eher gereizt als besorgt.
»Mir wird schon nichts passieren«, beschwichtigte
Rohrbach und wünschte, sie möge ihn endlich in Ruhe lassen.
»Wenn du meinst …« Es lag nun doch eine gewisse Unsicherheit in ihrer Stimme. Sie zögerte einen Augenblick, als wollte sie noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders und drehte sich auch nicht mehr um, als sie die Gaststube verließ.
Rohrbach lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick schweifte durch den Raum, dem man ansah, wie plötzlich er verlassen worden war. Hastig vom Tisch weggeschobene Stühle standen kreuz und quer durcheinander, achtlos neben halb ausgetrunkenen Gläsern abgestellte Tassen bildeten bräunliche Ringe im Weiß der Tischdecken, und auf den übrig gebliebenen Brötchen wurde der Käse glasig und begann, sich an den Rändern zu rollen.
Der Anblick gefiel Rohrbach. Er empfand eine hämische Heiterkeit bei dem Gedanken, dass der Alte sich den Verlauf seines Leichenschmauses bestimmt anders ausgemalt hatte.
Er schreckte aus seinen Betrachtungen auf, als die Tür aufgestoßen wurde und Ehmke mit großen Schritten auf ihn zukam. Jeder Zoll ein Mann, der wusste, was zu tun war. Der Widerspruch nicht duldete und gewohnt war, dass ausgeführt wurde, was er anordnete. Es war nie anders gewesen. Ehmke hatte alles bestimmt und immer gewonnen. Als Pirat, als Räuber, als Gendarm. In der Armee und bei der Polizei. Einem wie ihm stellte man sich besser nicht in den Weg.
»Was ist, Rohrbach, brauchst du eine Sondereinladung?«
Rohrbach stellte zufrieden fest, dass sein Herz ruhig blieb. Es stolperte nicht und pumpte kein angstheißes Blut in die Adern.
Gut. Sehr gut fühlte sich das an. Wie eine Befreiung.
»Selbst wenn ich sie erhielte, deine Sondereinladung, ich würde sie nicht annehmen, Ehmke.« Rohrbach lächelte und streckte entspannt die Beine aus. »Ihr werdet Thiel ohne mich jagen müssen, und ich hoffe sehr, dass er euch diesmal entkommt.«
»Wer sagt, dass es Thiel ist, nach dem wir suchen?«
»Wer soll es denn sonst sein, Ehmke? Wer, wenn nicht Thiel, sollte Möhle ein verlogenes Schwein schimpfen? Mir jedenfalls fällt niemand ein, der mehr Grund dazu hätte.«
Ehmkes Augen wurden schmal. Schweigend fixierte er Rohrbach ein paar Sekunden, bevor er sich zu ihm vorbeugte. Sein Atem war flach und roch nach dem Kaugummi, auf dem er so heftig kaute, dass sich seine Wangen mit dem Mahlen der Kiefer bewegten.
»Denk dran, dass du viel zu verlieren hast«, sagte er leise. »Meinetwegen bleib hier sitzen – schließlich bist du in Trauer, nicht wahr? Aber pass auf, was du sagst, wenn du dich nicht in
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