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Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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die ihr ganz eigenes Programm hatten, bevor die Erwachsenen am Abend zu ihrem Recht kamen. Musik und Tanz im großen weißen Festzelt, das seit vorgestern am Sportplatzrand stand. Niemand nahm an, dass es in dieser Nacht immer gesittet zugehen würde, aber mit dem, was dann geschah, hatte keiner rechnen können. Wie auch, wenn das Schlimmste, auf das man sich gefasst machte, eine anständige Schlägerei war, wie es sie eben nur nach Mitternacht hinter Festzelten gab.
    Aber noch war der Tag hell und sonnig, und Heiner Thiel konnte nicht ahnen, dass es für lange Zeit sein letzter in Freiheit sein würde. Für fünfzehn Jahre, um genau zu sein, als Strafe für einen Mord, bei dem sich nichts, aber auch gar nichts finden ließ, was das Urteil hätte mildern können.
    Noch stand der Wirt vom Rauchfang hinter dem Riesengrill im Qualm und schäkerte mit seiner neuen
Kellnerin. Der Doktor saß wie immer wortkarg neben seiner Frau und hörte sich an, was ihre Freundinnen über selbst- und fremderfahrene Leiden berichten konnten. Vor dreißig blau-weiß uniformierten Kindern fuchtelte Rohrbach mit den Armen. Es sollte gesungen werden.
    Am Tisch der Seglermannschaften wurde laut gelacht, und die Urlauber knipsten wie verrückt die fröhliche Idylle.
    Thiel verließ den Festplatz über den Trampelpfad durch das Gestrüpp aus Weißdorn und Schlehen, zog sein Rad aus den Büschen und bog nach rechts auf den Plattenweg zum alten Gut ein. Über das verkrautete Kopfsteinpflaster fuhr er zur Ostseite des Hofs auf das lang gestreckte Gesindehaus zu. Fünf Eingangstüren, hinter denen bis zum letzten Krieg Mägde und Knechte mit Kind und Kegel gewohnt hatten. Zwei Kammern, unterm Giebel Schlafplätze, über die im Winter schon der Schneewind gepfiffen haben musste, als das Dach noch in Ordnung gewesen war. Aber wenigstens die Küche hinter den beiden Fenstern zum Hof war wohl warm und groß genug gewesen für ein halbes Dutzend Kinder und auch, was immer mal vorkam, für ein krepeliges Ferkel, das in die Wärme am Ofen musste, damit es am Leben blieb.
    Jetzt hauste Thiel hier, seit er sich vor zwei Jahren von Reckwitz hatte anheuern lassen. Handwerker bei Denkmalsanierung hatte es geheißen und sich als Schinderei auf einer Ruine erwiesen. So jedenfalls sah
es Thiel, der den Optimismus nicht teilte, mit dem Reckwitz von Landhotel und Reiterhof schwadronierte, sich dann aber in seine Hamburger Firma verzog, mit der er das Geld verdiente, das er durch die glaslosen Fenster des Gutshauses wieder hinauswarf. Ob und wann es etwas werden würde mit dem repräsentativen mecklenburgischen Anwesen eines Hamburger Finanzmaklers, konnte auch Sören Jensen nicht sagen, der als Spezialist für die Rettung alter Gemäuer galt. Reckwitz hatte ihn aus Dänemark nach Groß Zicker geholt und im ehemaligen Verwalterhaus auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes untergebracht.
    Werktags war es staubig und laut hier, seit immer mehr Maschinen zum Einsatz kamen. Trecker mit Frontladern, Laster, die den Schutt abfuhren. Betonmischer und ein Gabelstapler, schrottreif, aber funktionstüchtig und bestens geeignet, die Paletten mit Steinen oder Dachpfannen dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wurden.
    Jetzt war es still. Die Polen, die Jensen hundert Kilometer östlich als Saisonkräfte rekrutiert hatte, waren gestern nach Hause gefahren. Sie hatten Thiel das Kaff in der Nähe von Kolberg beschrieben. Er hatte sich nicht einmal den Namen gemerkt, geschweige denn eine der Einladungen angenommen, sie dorthin zu begleiten.
    Er war froh, wenn er seine Ruhe hatte, auf der selbst gezimmerten Bank vor seiner Tür sitzen und Gedanken nachhängen konnte, die allerdings im Laufe der
Zeit dumpfer und trüber geworden waren und vor allem darum kreisten, dass er sich sein Leben anders vorgestellt hatte. Ganz anders.
    Schiffsbauer in einer der größten Werften der Welt, das wär’s gewesen. Fischereischiffe bauen, die in Stralsund perfekter als irgendwo sonst vom Stapel liefen. Ein Traum, der geplatzt war wie so viele in den letzten Jahren, als plötzlich ganze Werften verkauft und in die Pleite manövriert wurden. Oder auf sage und schreibe sieben Fischtrawlern sitzen blieben, weil die sowjetischen Brüder sie nicht mehr bezahlen konnten.
    So war das, dachte er. Schluss mit den dicken Rosinen im Kopf, er könnte wer weiß was werden. Er hatte als einer der Ersten auf der Straße gestanden. Jung, keine Familie, die von seinem Lohn leben musste, da war nichts zu machen
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