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Brandbücher - Kriminalroman

Brandbücher - Kriminalroman

Titel: Brandbücher - Kriminalroman
Autoren: Birgit Ebbert
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der Postkarten und legte sie neben die Seite mit dem Rezept.
    Das K und das E sahen gleich aus. Immer wieder kam sie mit den Buchstaben durcheinander. Schließlich holte sie einen Zettel und einen Stift und schrieb das Alphabet auf. Das K und das E strich sie durch, die waren eindeutig identisch. Nacheinander betrachtete sie alle Buchstaben. Am Ende waren es nur fünf Buchstaben, bei denen sie nicht sicher war. Ihr Gefühl sagte ihr, dass die Schrift auf den Karten die ihrer Großtante Katharina war. Doch warum sollte sie Karten an sich selbst senden?

    *

    »Was gibt es heute zu essen?« Mit diesen Worten stürmte Samuel in die Küche. Er ging auf den Herdofen zu, auf dem ein Topf und eine Pfanne standen. Als er vor dem Herd stand, konnte er die Hitze der Flammen spüren, die unter der dicken Eisenplatte züngelten. Ein wohliges Gefühl durchfuhr ihn. Die Küche war für ihn der Inbegriff seiner Kindheit. Als er ein kleiner Junge war, hatte er seine Mutter beim Kochen beobachtet und sich alles erklären lassen.
    »Du bist ein echtes Jungchen«, scherzte sie oft. Auch Samuel gefiel diese Wortmischung aus Junge und Mädchen. Als Einzelkind fühlte er sich oft wie ein Jungchen, weil er mal wie der Junge, der er war, behandelt wurde, und mal wie das Mädchen, das er aus Sicht seiner Mutter leider nicht geworden war. Er wusste, dass seine Mutter sich ein weiteres Kind gewünscht hatte. Bis zum letzten Tag ihres Lebens hatte sie von einem Mädchen geträumt und dann war es ein Mädchen gewesen, das sie umgebracht hatte. Das Neugeborene, das dann doch schon tot gewesen war, als es auf die Welt geholt wurde.
    Von dem Tag an hatte sich Samuels Leben von Grund auf geändert. Nicht mehr die Küche, sondern die Buchhandlung seines Vaters wurde sein Zuhause. Nach der Schule lief er nicht mehr die Treppe hinauf in die Küche, sondern direkt durch die Glastür, über der in großen Buchstaben ›Weizmanns Buchhandlung & Leihbibliothek‹ stand, in den Laden. Nicht ohne sich mit einem Klingeln anzukünden. So konnte sein Vater ihn an jedem Tag mit »Schalom, Samuel« begrüßen, wie es in seiner Religion üblich war.
    Als Samuel 16 Jahre alt wurde, hatte sein Vater Katharina eingestellt. Sie war wenige Jahre älter als er. Die beiden verstanden sich gut. Besonders ihre Liebe zu Büchern verband sie. Hinter dem Rücken seines Vaters verlieh Samuel der Köchin heimlich Bücher, die er für wichtig hielt. Hermann Hesses ›Steppenwolf‹, den Katharina in wenigen Tagen verschlungen hatte, und Thomas Manns ›Zauberberg‹, für den sie Wochen brauchte, in denen Samuel immer neue Ausreden erfinden musste, damit sein Vater das Verschwinden nicht bemerkte.
    Im Gegenzug kochte Katharina für ihn all jene Gerichte, die seine Mutter zubereitet hatte, als er ein kleiner Junge war. Unter seiner Anleitung lernte sie koscher zu kochen und auch außerhalb von Jom Kippur und Simchat Thora Samuels Lieblingsspeise, Kreplach, herzustellen. Er konnte sich nie satt essen an den gefüllten Nudeln, die auch das Lieblingsessen seiner Mutter gewesen waren.
    »Kreplach!«, freute er sich auch heute, als er den Topf mit dem Salzwasser und die Pfanne mit dem Hackfleisch auf dem Herd sah.
    »Du kannst deinen Vater rufen«, bat Katharina Samuel, und er sah, wie sie die ersten Nudeltäschchen mit der Füllung aus Rinderhack und Zwiebeln in das Salzwasser gleiten ließ.
    Rasch brachte er den Koffer, in dem er die schmutzige Wäsche aus seiner Studentenwoche in Münster transportierte, in sein Schlafzimmer. Eigentlich war es eine Abstellkammer, doch Samuel hatte lange darum gekämpft, eine eigene Schlafstelle zu bekommen.
    Als er in die Buchhandlung kam, spürte Samuel gleich, dass etwas anders war als sonst. Sein Vater saß an dem kleinen Tisch und starrte auf die Zeitschrift, die vor ihm lag.
    »Vater!«, rief er erschrocken. Es dauerte eine Weile, bis sein Vater reagierte. Dann drehte er sich zu ihm und gab sich Mühe, ein Lächeln in sein Gesicht zu bringen.
    »Schalom, Samuel«, sagte er. Doch Samuel ließ sich nicht so leicht beruhigen.
    »Was ist los?«, wollte er wissen.
    Sein Vater lehnte sich zurück. »Ich habe gerade in den alten Zeitschriften geblättert«, erklärte er. »Schau her, diese beiden Bücher sind nie bis zu uns gekommen.« Er zeigte auf einen Artikel, in dem von der Beschlagnahmung der Bücher ›Sturm auf Essen‹ und ›Barrikaden am Wedding‹ berichtet wurde.
    Samuel klappte die Zeitschrift zu. »1931«, las er halblaut. »Aber das
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