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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
Autoren: Torsten Sträter
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oder der miese
Wechselkurs oder die zu undramatisch untergehende Sonne ihr Fett weg.
    Ingo erstand doch noch einen Discman.
    Und genau der brachte uns eine Woche später in
Schwierigkeiten.
     
    »Lass uns nicht mit dem Amtrak nach Boston fahren. Ich fände
es geil, wenn wir trampen.«
    Ingos Idee machte mich zwar irgendwie betroffen, aber es
klang nach Ersparnis kostbarer Dollars, die ich für Tassen mit dem Abbild des
Tasmanischen Teufelseingeplant hatte.
    »’türlich«, erwiderte ich. »Ich besorg mal ’ne Karte.«
    War nicht nötig; der piratenhafte Portier unseres Hotels
(Carlton Arms, an dessen Wänden die Bilder genähter Wunden hingen und das
sowohl kultig, als auch dezent siffig war), schob sein Kopftuch in die Stirn,
dachte kurz nach und gab mir eine Beschreibung.
    Er meinte, wir sollten mit dem Zug in die Bronx fahren,
durch den Bronxpark latschen und in CoOp-City am Freeway den Daumen raushalten.
    Klang vernünftig.
    Der Gedanke daran, dass wir zwei Weißbrote morgens um fünf
durch die Bronx tapern, während uns Ingos Discman das Lied der Idiotie spielt,
ließ mich dann spätabends doch noch nachdenklich werden, aber zu spät: Die
anderen waren schon am Nachmittag mit dem chromblitzenden, sündhaft teuren Amtrak entschwunden.
     
    Je näher die S-Bahn ins Gebiet der farbigen Bürger New Yorks
vordrang, umso weniger weiße Büromenschen verblieben im Zug, stellten wir gegen
halb fünf am Folgemorgen fest.
    Ingo hatte seine Kappe so tief ins Gesicht gezogen, dass er
durch den Mützenschirm in Kinnhöhe ein wenig Donald Duck ähnelte, und ich
versuchte durch Luftanhalten über drei Haltestellen eine Gesichtsfarbe zu
erlangen, die mich im Halbdunkel wie Denzel Washington aussehen ließ –
vergebens jedoch.
    Die Afroamerikaner im Zug sahen uns zwar an, als hätten wir
Antennen auf dem Schädel, ließen uns aber natürlich in Ruhe. Unsere unfassbare
Blödheit schien auf sie wie eine Art exotische Krankheit zu wirken.
     
    Endstation.
    Wir marschierten durch den Bronx-Park, der weitläufig und
völlig menschenleer vor uns lag. Keine wirklich schöne Gegend, aber auf Distanz
nicht ungepflegt.
    In CoOp-City, einem kleinen Teil der Bronx, machten wir Rast
an einem Kinderspielplatz, der mit einem meterhohen Zaun umgeben war; nur ein
einzelnes Kind schaukelte so früh am Tag.
    Vor dem Gittertor stand ein rauchender Wachmann in Uniform.
    Wir waren da; vor uns lag die Straße.
    Ingo fuhr den Daumen aus, ich hockte mich auf meinen
Rucksack und machte ein positives Trampergesicht.
    Drei Stunden später.
    Niemand hatte gehalten, sah man von dem Wagen ab, der kurz
gebremst hatte, um vor unseren Füßen seinen Aschenbecher auszuleeren.
    Ingo sang irgendetwas mit, das ihm der Kopfhörer ins Hirn
transportierte, ich war kurz davor einzunicken. Eine Sekunde später war ich
hellwach und klopfte Ingo hart auf die Schulter.
    Er nahm die Stöpsel aus den Ohren.
    »Was denn?«
    »Wenn du mal schauen möchtest.«
     
    Drei Typen kamen auf uns zuspaziert.
    Sie waren vielleicht achtzehn, wirkten auf mich aber wie die
Lässigkeit in Person.
    Einer von ihnen trug die Jeans so tief am Bein, dass es nur
noch cooler ausgesehen hätte, wenn seine Kumpels die Hose hinter ihm
hergetragen hätten.
    Goldschmuck, Tupac -Shirts, Sneakers wie kleine
Wohnwagen.
    »War nett mit dir«, sagte ich zu Ingo.
    »Jou. Gleichfalls.«
    »Würde es dir viel ausmachen, Deinen CD-Spieler unauffällig
weg zu packen, du Penner?«
    Ingo verfiel in die planlose Hektik eines ungelernten
Roadies; zu spät.
    »Tag«, sagte ich wackelig.
    »Wo kommt ihr her?«, fragte der Kerl mit der tiefergelegten
Jeans.
    »Dortmund. Deutschland. Schön da«, faselte ich.
    Die Drei machten eine lange Pause, während sie uns
betrachteten. Sie redeten nicht miteinander, sahen sich nicht an.
    »Habt ihr Geld?«, fragte einer von ihnen.
    Ingo legte los.
    »Sag ihm, ich hab vierzig Dollar, und dreihundert in
Travellerchecks und …«
    Währenddessen hatte er begonnen, seine Wertsachen auf den
Boden zu legen, als würde er einen kleinen Flohmarkt veranstalten.
    »Haben wir«, sagte ich leise.
    Sie nickten.
    »Wohin wollt Ihr?«
    »Boston«, erwiderte ich.
    Eine weitere Pause trat ein. Ich überlegte, wer die längst
überfälligen Videofilme abgab, die zuhause auf meinem Schreibtisch lagen, wenn
ich jetzt gleich und hier getötet und ausgeraubt wurde. Von wegen innerer Film,
das Leben läuft an einem vorbei und so.
    Der Junge in der Jeans kam meinem Gesicht ganz nah.
    »Ihr habt Geld,
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