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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
Autoren: Torsten Sträter
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ihr wollt nach Boston, ihr seid aus
Germany?«
    Ich nickte.
    Und erwartete den Todesstoß. Und zwar mindestens dreißig
Sekunden.
    »Warum nehmt ihr Blödmänner dann nicht einfach den Zug?«
    Sie drehten sich um und schlenderten davon.
    Ich hörte, dass Ingo aufhörte zu beten. Ich konnte nur
atmen; mehr war nicht drin. Dies war mein zweiter Geburtstag.
    Ingo fing an zu erzählen: Irgendwas mit »ich wusste es,
superkorrekt, Vorurteile …«
    Die drei Typen stoppten.
    Der Anführer löste sich aus der Gruppe und kam zurück. Sein
Gang demonstrierte Entschiedenheit, seine Augen maßen den Wert unseres Lebens.
    Er lächelte nicht.
    Dann war er da, hob die Hand und sagte: »Wenn Ihr nach
Boston wollt, müsst Ihr auf die andere Straßenseite.«
     
    Fünf Stunden später.
    Die Sonne brüllte jetzt, und uns dämmerte, dass Trampen
nicht die populärste Art war, diese Stadt zu verlassen.
    Ingo konnte seine Songs mittlerweile auswendig, aber das
verbesserte seine Performance nur wenig. Merkwürdig: Noch vor ein paar Stunden
wären wir beinahe ins Walhalla für tollkühne Blödmänner eingeritten, und jetzt
nervte mich nichts mehr als Ingos beschissene A-cappella-Darbietung fast
unkenntlicher U2-Songs. 
    »Ich hab Hunger«, sagte ich, als Ingo die Ohrhörer heraus
nahm.
    Hinter uns ertönte ein elektronisches Jaulen, das mir aus
tausend Kojakfolgen vertraut war.
    Ein monströser Polizeiwagen passierte uns und kam einige
Meter vor uns zum Stehen. Der Cop machte sich nicht die Mühe, auszusteigen; ein
bulliger Arm winkte uns heran.
    Wir trotteten zum Seitenfenster.
    »Wisst ihr Typen nicht«, er musterte unsere nass
geschwitzten Gesichter, »dass Trampen im Staat New York verboten ist?«
    »Nein, Sir«, sagte ich. 
    »Dann wisst ihr es jetzt. Steigt ein.«
    »Warum?«
    Er trug tatsächlich eine dieser klischeehaften,
verspiegelten Sonnenbrillen – und die nahm er nun ab, um mir direkt in die Augen
zu sehen.
    »Weil ich es euch sage.«
    Damals war Stephen Kings Desperation noch nicht
veröffentlicht worden, also stiegen wir ein.
    Ingos Standardsatz kam: »Ich sitz vorn!«
    Ingo musste immer vorn oder am Fenster oder auf der
Südtribüne sitzen; Für ihn kam erst mal er selbst, dann sehr lange nichts, dann
Toilettenpapier, dann erst U-2 und dann der Rest der Menschheit. Irgendwie
mochte ich ihn trotzdem.
    »Du kannst dich doch Null verständigen«, flüsterte ich.
    Er ignorierte mich; er wollte einfach vorn in einer
Polizeikutsche hocken, und war bereit, dafür zu bezahlen.
    Ich presste mich auf die Rückbank. Sie war vollgepackt mit
kugelsicheren Westen, jede so schwer wie eine Kiste Veltins. Vorn ließ die
Klimaanlage einen Schneesturm toben, hinten bei mir kam ein laues Windchen an.
    Der Cop stellte Ingo irgendwie scharf klingende Fragen, die
dieser an mich weiter reichte.
    Ja – wir sind Touristen.
    Nein – wir kiffen nicht.
    Doch – wir haben wenig Geld.
    Nach zehn Kilometern hielt er an, um zu tanken; Endstelle.
    »So. Jetzt seid ihr runter von der Straße. Wenn es schon
sein muss, fragt irgendwelche Trucker hier. Macht’s gut.«
    Wir bedankten uns und marschierten zu den Parkplätzen.
    Hier standen mindestens dreißig Lkws.
    Könnte klappen.
    Nachdem wir an zehn Scheiben geklopft hatten, aber niemand
erschienen war, betraten wir die Tanke.
    Der Kassierer – der wegen seiner herablassenden Art auch der
Boss sein musste – fragte, was wir wollten.
    Ich erklärte, wir bräuchten eine Mitfahrgelegenheit nach
Boston.
    Ein schräges Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit. »Dann
kommt mal mit.«
    Er ging gut fünf Meter vor uns her; wir marschierten über
den riesigen Parkplatz, durch ein umzäuntes Areal voller Ölfässer und betraten
ein Gelände, groß wie ein Fußballfeld.
     
    Der Marsch, den wir mit vollem Gepäck absolvierten, dauerte
nun schon zehn Minuten. Am Horizont waren einige geparkte Autos zu sehen.
    »Wir sind gleich da«, frohlockte der Boss.
    Nach weiteren sieben Minuten lämmergleichen Hinterhertrabens
erreichten wir die Fahrzeuge.
    »Seht ihr«, sagte der Chef der Tanke lächelnd, »wie die
aussehen?«
    Sie sahen beschissen aus: eingeschlagene Scheiben, platte
Reifen, eine Menge zerkratzter Lack.
    »Hm«, sagte ich, »sieht nicht gut aus. Und?«
    Er breitete die Arme aus – ein Moses in schlecht sitzenden
Jeans und Calvin-Klein-Hemd.
    »Das machen Tramper und andere Wichser, wenn sie auf meinem
Gelände rumlungern. Beschissene Vandalen. Und deswegen nimmt euch hier niemand
mit.«
    Seine
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