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Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Titel: Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Autoren: Stefan Haenni
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Gläser.
    »Vielleicht solltest du den Sprayer-Artikel dem Rathauswirt unter die Nase halten. Es käme ihn jedenfalls billiger, die Graffiti als Populärkunst zu akzeptieren, als sie überpinseln zu lassen.« Jüre setzt sein Bier auf die bedruckte Pappscheibe und federt derart schwungvoll in die Lehne zurück, dass der Bistrostuhl zu kippen droht. »Ups!«
    »Kipp erst das Helle, bevor du dich in den dunklen Abgrund stürzest.«
    Rechtzeitig hat er sich wie der Zappel-Phillip an der Tischkante gerettet. »Hanspudi, sei froh, dass der Beizer die Vandalen verfolgen lässt. Du ersäufst nicht gerade in einer Flut von Anfragen. Wie weit bist du eigentlich? Hegst du bereits einen Verdacht, wer es allzu bunt getrieben hat?«
    »Eben nicht«, antworte ich. »Die Typen vom Weißen Block vielleicht?«
    Jüre schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Du mit deinem Weißen Block. Der lässt sich halt nicht wie schwarze Schwäne aus der Gegend verbannen.«
    »Das ist das Problem.«
    »Okay«, beschwichtigt mein Assistent. »Lass uns die Angelegenheit gemeinsam erledigen. Zielorientiert und zuversichtlich, wie immer.«
    »Einverstanden. Dein Optimismus in meinen Ohren. Mein Gehalt in deiner Tasche.«
    Der Angesprochene bestätigt: »Genau so.« Dann zückt er ein Schreibblöckli und wendet sich an die Kellnerin: »Fräulein, können Sie mir Ihren Kugelschreiber leihen?«
    Ich gucke ihn verdutzt an: »Fräulein? Du rufst sie Fräulein ? Ich hätte dich für zeitgemäßer gehalten. Was würde deine vergötterte Marie-Josette wohl dazu sagen?«
    Mein Assistent hebt Augenbrauen und Schultern synchron und lächelt lieb. Nach einer dosierten Kunstpause meint er: »Ach, weißt du, Hanspudi, meine Frau tröstet sich mit dem Gedanken, dass ich jeweils die Rechnung begleiche.«
    Inzwischen hat die Bedienung das Gewünschte auf den Tisch gelegt und sich wortlos entfernt. Unsere Debatte scheint sie nicht zu kratzen. Sind im Berner Oberland die Böen der feministischen Sturmwinde erlahmt?
    »Jüre, bist du eigentlich schon dazu gekommen, über Johannes Brahms zu recherchieren?«, will ich nun wissen.
    »Ja. Habe damit begonnen. Der absolute Brahmskracher scheint das Liedchen ›Guten Abend, gut Nacht‹ zu sein .«
    »Ist das nicht ein deutsches Volkslied?«
    »Nein. Ursprünglich handelt es sich um eine Komposition vom Meister.«
    Ich zweifle: »Bist du dir sicher, dass das Volkslied nicht zuerst da war?«
    »Du meinst, der Schlaumeier hat es nur gecovert ?«
    »Könnte man so sagen, oder?«
    »Auch möglich«, sagt mein Assistent.
    »Müsste er nicht sowieso eher Seemannslieder geschrieben haben?«, frage ich. »Er wurde doch in Hamburg geboren.
    »Stimmt«, bestätigt Jüre. »1833. Nur hat Brahms in der Wiege nichts komponiert.«
    » In der Wiege nicht. Für die Wiege schon. ›Guten Abend, gut Nacht‹ gilt als Wiegenlied, oder?«
    »Ja, ja«, nickt er und lässt mit der verdoppelten Zustimmung durchklingen, dass ihn das Thema zu langweilen beginnt. Hintennach fügt er an: »Was Brahms als Jüngling zusammengeschrieben hat, veröffentlichte er ohnehin unter einem Pseudonym.«
    »Was für ein Pseudonym?«, horche ich ihn aus.
    »G. W. Marcks, zum Beispiel.«
    »Marx?«, wiederhole ich verwundert.
    »Ja, oder Karl Würth.«
    »Würg! Wozu denn das?«
    »Na hör mal. Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die unter fantasievollen Künstlernamen publizieren.«
    »An wen denkst du?«, frage ich.
    »Pascal Mercier zum Beispiel, Paul Lascaux oder Etienne Lecoq.«
    »Komponisten?«
    »Nein. Schriftsteller.«
    »Wozu tun sie das? Warum wählen sie Fantasienamen?«
    Mein Assistent zögert. Dass er in die Rolle des Verteidigers der Künstlergilde zu geraten droht, scheint ihn zu irritieren. »Was fragst du mich? Sie wagen ihr Debüt, haben Erfolg und bleiben danach beim Künstlernamen. Brahms jedenfalls soll von seinen frühen Kompositionen nur jene aufgehoben haben, die unter Pseudonym veröffentlicht wurden.«
    »Was ihn nur dazu bewogen hat?«, rätsle ich.
    »Überzogene Selbstkritik«, meint Jüre. »Erstaunlicherweise ist die aber erst erwacht, nachdem ihn Robert Schumann mit Lob überhäuft hatte.«
    »Nachdem?«
    »Richtig. Auch Komplimente müssen schließlich verdaut werden«, weiß er. »Sieht so aus, als hätte Schumanns Lob Brahms’ Courage im Keim erstickt. Anfänglich hatte der Junge ausschließlich Klavierwerke geschrieben. Als ihn der verehrte Meister zu großen Orchesterwerken ermunterte, fühlte er sich vielleicht
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