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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame
Autoren: Michael Braun
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hängen , tänzeln Regenschirme im Licht der Straßenlaternen.
    Beide Frauen sind froh, in wenigen Minuten nach Ha use fahren zu können, die ältere mit dem Linienbus, die jüngere mit ihrem Freu nd Gunnar, der sie mit dem Wagen von der Arb eit abholt. Die Schreibtische aufräumen und abschließen, die Computer ausschalten, die Br iefumschläge mit den Reiseunterlagen für die Kunden frankieren – dann haben sie diesen verregneten, missratenen Tag hinter sich gebracht.
    Ine s hängt das feuchte Geschirrtuch über den Heizkörper und kommt in den Laden zurück. Sie legt ihre bestickte Umhängetasche auf die bunte Weltkarte, die sie als Schreibunterlage benutzt und an den Rändern mit Notizzetteln beklebt hat, holt Lippenstift und Handspiegel heraus und beginnt , sich zu schminken.
    „Da lob ich mir das Mittelmeer“, sagt sie. „Da ist es jetzt schon richtig warm – jeden falls viel wärmer als hier. Zwei Wochen noch, dann blühen die Bäume, und wir ...? S itzen hier in diesem dunklen Loch.“ Sie betrachtet sich kritisch im Spiegel und wischt mit dem kl einen Finger Rot von ihren Lippenrändern. „Wissen Sie was, Frau Petersen?“
    „Na?“
    „Irgendwann wandere ich aus und kaufe mir da unten ein Häuschen – eine schnuckelige Finca oder so – und genieße das Leben. In Spanien oder Portugal . Wo es warm ist .“
    Ingrid Petersen muss schmunzeln. „Mens chenskind, Ines, da bist du noch keine zwanzig Jahre alt und denkst schon an den Ruhestan d!? Du machst mir manchmal Spaß, Mädchen.“
    „S o schnell geht das nicht, weiß ich doch . Vorher muss ich das nötige Klein geld haben, d as dauert natürlich ein paar Jährchen. Aber ich spare schon jeden Monat. Und wenn ich genug Geld zusammenhabe, gehe ich sofort nach Spanien. Gunnar gefällt die Idee auch, der will mitkommen .“
    „Ein paar Jährchen…“ Frau Petersen bläs t Zigarettenrauch an die Decke . „ Jahrzehnte dauert das, Ines, wenn es denn überhaupt klappt. I st ja nicht so, dass jeder einfach mal schnell auswandern k önnte – dahin, wo’s behaglich ist. Das kostet schließlich Geld, so wa s, hmm? Aber wenigstens hast du Trä um e . Als ich in deinem Alter war... “
    „Sie reden fast wie meine Mutt er – die hält das auch für blöd . A ber ich habe es mir fest vorgenommen. U nd Gunnar auch.“
    „Meinetwegen. Warten wir e s ab. Du sagst mir aber rechtzeitig Bescheid, wenn e s ans Auswandern geht?“
    „In Ordnung.“ Ines lacht. „Nicht dass Sie denken, ich würde Sie im Stich lassen.“
    „Machen wir Schluss für heute, was? Wir kriegen nichts mehr in die Kasse bei d iesem Sauwetter, da kommt keiner. H i lft alles nichts.“
    Vor dem Laden fährt ein Wagen vorüber und spritzt Pfützenwas ser auf den Bürgersteig .
    „Aber es hat alles sein Gutes “, sagt Frau Petersen. „Bei dem Wetter kann man es sich zuhause wenigstens vor dem Fernseher gemütlich machen . Eine Tasse Tee und die Füße hochlegen... I ch glaube, das werde ich heute Abend tun .“
    „Das klingt schön“, sagt Ines . „Ich würde mich auch gerne einkuscheln, aber e s geht heute nicht. Gunnar holt mich gleich ab, wir müssen noch zu meinem Vater nach Großhansdorf rausfahren und… – “
    Die Türglocke bimmelt.
    Ein Windstoß weht einige lose Zettel von Ines’ Schreibtisch.
    Sie schaut auf ihre Monitoruhr. Sieben vor, denkt sie. Ging das nicht etwas früher?
    Eine Frau steht i n einem hellen Kamelhaarmantel, den der Regen auf dem Rücken d unkel gefärbt hat, in der Ladentür. Einige Tropfen, die der feste Stoff nicht aufgesogen hat, springen von den Schultern auf den Boden. Sie hält ihren nas sen Schirm nach draußen über den Abtreter und schüttelt ihn mit stoßenden Bewegungen aus, bevor sie ihn zusammenklappt und im Geschäft gegen die Heizung vor dem Schau fenster stellt, wo er ab rutscht und umfällt. Sie bückt sich mit vorsichtigen Bewegungen – sie muss über siebzig sein, denkt Ingrid Petersen .
    „Warten Sie“, sagt sie und steht auf, um ihr zu helfen.
    „Es geht schon“, sagt die Kundin, „ich habe ihn.“ Sie legt den Schirm der Länge nach auf den Heizkörper und nimmt ihren beige-braun karierten Filzhut und ihr Halstuch ab. „Was für ein Wetter das ist, nein.“ Sie lächelt.
    „Ist das nicht fürchterlich?“
    „Grauenvoll, ja.“
    Ingrid Petersen weiß ihre Kunden einzuordnen, das bleibt nicht aus, wenn man, wie sie, seit mehr als zwanzig Jahre n Fahrkarten, Flugtickets und Pauschalreisen verkauft . Sie mustert sie , wenn
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