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Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Autoren: Im Sommer der Mörder
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gehen hatte nichts gebracht. Bei Enni Sushi essen, Richard Landen anrufen, Hollerer in Konstanz besuchen, zu Nikschs Grab fahren, alte Freundschaften wiederbeleben kam jetzt ebenfalls nicht in Frage. Sex schon eher, auch Fitnessstudio, Joggen, Gymnastik, Diskothek. Mama in der Provence besuchen, Papa in Kehl besuchen – nur in der allergrößten Not. Lesen, Musik hören oder meditieren würde nicht helfen. Wohnung aufräumen, Wohnung putzen, Wohnung umräumen? Nicht schon wieder. Neue Wohnung suchen, gebrauchtes Auto suchen …
    Sie zog eine Jacke über. Gebrauchte Autos konnte man sich auch nachts ansehen.

    2
    AUCH AN DIESEM MORGEN fuhr sie in der Dunkelheit in die PD. Auch an diesem Morgen setzte sie sich in Almenbroichs Sessel und hoffte, dass er kommen würde, und zugleich, dass er nicht kommen würde. Sie stellte seinen Funkwecker auf halb sieben. Sekunden später war sie eingeschlafen.

    Als sie erwachte, weil sie Almenbroichs kalte Hand auf ihrer Schulter spürte, war es Viertel nach sechs. »Wenn ich das gewusst hätte«, sagte er, »hätte ich Croissants mitgebracht.« In seinen Augenwinkeln saßen kleine gelbliche Kügelchen. Seine Gesichtshaut war weiß und von feinen roten Aderchen durchzogen. Er sah deprimierend müde und kraftlos aus. Dabei hätte sie in diesen Tagen einen starken Chef gebraucht.
    »Keinen Hunger«, sagte sie und erhob sich. »Entschuldigung.«
    Almenbroich winkte ab, während er auf den Sessel sank. Er schlafe, sagte er, wenig, weil es nachts ja kaum abkühle, und wenn die Luft endlich auffrische, schlafe er nicht, weil er zu frieren beginne. Er versuchte zu lächeln, aber es schien ihm nicht zu gelingen.
    Plötzlich empfand sie das Bedürfnis, ihm die Hand auf die Wange zu legen. Auch Kripoleiter brauchten hin und wieder Trost.
    Sein Gesicht war so kalt wie seine Hand.
    Er musterte sie überrascht, aber zufrieden, ein erschöpfter, innerhalb von wenigen Hitzewochen um Jahre gealterter Mann, der unverhofft ein bisschen Trost bekam.
    »Ist es sehr schwierig?«, fragte er nach einer Weile.
    »Manchmal.«
    »Bewundernswert. Wie schaffen Sie das nur?«
    Sie nahm die Hand fort, ließ sich auf der Armlehne nieder.

    »Ich sage mir: Heute nicht. Heute werde ich nicht trinken, unter keinen Umständen. Keine Ahnung, was morgen ist, aber heute trinke ich nicht.«
    »Eine Art Formel?«
    »Ja.«
    »Und das sagen Sie sich jeden Tag.«
    Sie nickte.
    »Es scheint zu helfen.«
    »Zusammen mit ein paar anderen Techniken.«
    »Bewundernswert, wirklich.«
    Sie sahen sich einen Moment lang schweigend an. Louise überlegte, ob Almenbroich wusste, wohin Bermann sie später bringen würde. Ob sie ihn fragen und es womöglich schon jetzt erfahren wollte. Sie stand auf. »Das Schlimmste ist das Selbstmitleid.«
    »Kaum zu glauben bei Ihnen.«
    Sie lächelte, obwohl sie nicht genau wusste, wie die Bemerkung gemeint war.
    »Haben Sie eigentlich Ihren Buddhismus-Experten wiedergesehen?«
    »Meinen …« Sie spürte, dass sie errötete. »Nein.«
    »Vielleicht sollten Sie.«
    »Vielleicht.« Sie wandte sich zur Tür, doch Almenbroich winkte sie zurück und deutete auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch. Sie setzte sich. Er stützte die Ellenbogen auf die Lehnen des Sessels, die Fingerspitzen beider Hände berührten sich in einem Dreieck. Er musterte sie, schien nach Formulierungen zu suchen. Das Händedreieck wurde zum Kreis, der Kreis wieder zum Dreieck. Sie hatte diese Bewegungen zum letzten Mal an dem Tag gesehen, als er sie in den Krankenstand geschickt hatte.
    Ein weiteres erstes Mal, das vor ihre Zeit im Kanzan-an zurückführte. Obwohl sie vier Monate lang ein anderes Leben geführt hatte, schien jeder Tag danach mit dem Leben davor unmittelbar in Verbindung zu stehen. Als wäre das Leben davor danach einfach weitergegangen.
    Doch diesmal ging es nicht um ihre Krankheit, sondern um den Fall. »Achten Sie darauf …«, sagte Almenbroich fast ein wenig vorsichtig und hielt schon wieder inne. »Achten Sie darauf, wer sich in die Ermittlungen einschaltet. Behalten Sie die Ermittlungsgruppe und alle anderen, die sich im Umfeld der Ermittlungen bewegen oder bewegen wollen, im Blick. Ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch, es …«
    »Ich verstehe Sie überhaupt nicht.«
    »Gut, ich formuliere es anders. Ich habe den Eindruck, dass zu viele Leute Interesse an unserer Arbeit zeigen.«
    »Was für Leute?«
    »Das LKA beispielsweise ist ein bisschen zu früh zu stark interessiert.« Er schwieg, sah sie an,
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